DC-Open 2010

Im Rheinland bei Freunden

Hinter dem Stichwort „Aufbruch“ in der rheinischen Galerienszene verbarg sich in den letzten Jahren zumeist: Aufbruch in Richtung Berlin. Vor allem Köln musste einen Stadtflüchtling nach dem anderen verschmerzen, während sich die Düsseldorfer hinter ihrer glamourösen Historie verschanzten. Doch spätestens seitdem sich die Rivalen 2009 zum gemeinsamen Galerien-Wochenende „Düsseldorf Cologne Open Galleries“, kurz DC-Open, aufgerafft haben, gibt es wieder ernst zu nehmende Bewegungen am Rhein, wenn auch manch einer, wie Linn Lühn, die Annäherung allzu wörtlich nimmt und der notorisch klammen Domstadt demnächst gleich ganz den Rücken kehrt, um rheinabwärts endlich in den Genuss einer großzügigen Förderung zu kommen.

Das Budget reicht immerhin nicht nur für das prestigeträchtige Ausstellungsfestival „Quadriennale“, das sich die Landeshauptstadt mehr als 5 Millionen Euro kosten lässt. Auch das zeitgleich stattfindende DC-Projekt, das unter dem Titel „Legendary Contemporary“ die Vergangenheit mit der kränkelnden Gegenwart versöhnen möchte, bekommt Unterstützung.

Ein Submotto hat man am vergangenen Wochenende, auch noch in petto. Unter dem Titel „Deutschlandpremieren“ zeigen 30 beteiligte Galerien neueste Erwerbungen von Künstlern, die hierzulande noch nie mit einer Einzelausstellung vertreten waren. Echte Newcomer sind allerdings Mangelware, vielmehr handelt es sich um international anerkannte Positionen, denen man auf dem deutschen Markt den Weg ebnen möchte.

Mitten im neuen Kunstkiez des ehemaligen Arbeiterbezirks Flingern lockt die legendäre Galerie Konrad Fischer. Sie präsentiert mit dem 32-jährigen Jürgen Strack einen Meisterschüler von Thomas Ruff, der mit zwei Rauminstallationen die Fotokunst in den Orkus abgedankter Disziplinen verbannen möchte. Während das fotografische Bild hinter einem schwarzen Schacht schlummert, leben dessen in exotischen Dialekten aufgezeichnete Beschreibungen eine Parallelexistenz als digitaler Zeichencode. Der zweite Teil von „Transformationen“ zweifelt nicht weniger am eigenen Medium und lässt es gleich ganz außen vor. Das lautmalerische Sprachgewitter des Tokyoter Tsukiji-Fischmarkts überlässt es den Raum beschallenden Beton-Lautsprechern. Konsequenter kann man sich mit klingenden Bildern wohl nicht selbst überflüssig machen.

Vom Drang zur Kapitulation ist in der Galerie Conrads nichts zu spüren. Der Chinese Yang Jiechang, der sein Land 1989 nach der Niederschlagung der Studentenproteste verließ und seitdem in Paris lebt, leistet mit seiner Skulptur aus menschlichen Skelettfragmenten, die, gegossen in blauweißes Ming-Porzellan, in 54 Holzkästen wie ein archäologischen Fund inszeniert sind, beeindruckend Widerstand. Beim genaueren Hinsehen entpuppt sich das vermeintliche Luxus-Geschenk nämlich als schmerzhafter Verweis auf das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens.

Zurück in der Altstadt schlüpft Jeff Bridges bei Bugdahn und Kaimer in die Rolle des Setfotografen. Mit seiner Panoramakamera gelingen dem Schauspieler elegante Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die auf leisen Sohlen aus den Kulissen einer erstaunlich verschlafenen Glitzerwelt berichten.

Hochkarätig geht es auch in Köln zu. Die Arbeiten, die Christian Boltanski unter dem Titel „Danach“ in der Kewenig Galerie vorstellt, scheinen Nachgedanken auf seine jüngsten Ausstellungen zu sein, mit denen der 1944 geborene Franzose seine Position als einer der wichtigsten Gegenwartskünstler bekräftigte: Wie schon bei „Personnes“, seinem Beitrag zur Monumenta 2010, stößt der Besucher am Eingang auf eine Wand aus rostigen Blechdosen. Das kafkaeske Archiv, das dazu einlädt, nach Lebensgeschichten von in die Arbeitslosigkeit entlassenen Arbeitern zu fahnden, schuf Boltanski 1994 unter dem Titel „The Work People of Halifax 1877-1982“. In Köln zeigt er eine Variation, die er zu einem bedrohlich engen Gang erweitert. Im Hauptraum gibt es ein Wiedersehen mit Skulpturen aus Kleidungsstücken, die als Sinnbilder der Erinnerung in verdrahteten Verschlägen präsentiert werden.

Auf der angesagten Antwerpener Straße lässt Jorinde Voigt in der Galerie Christian Lethert aufs Neue ihre hypnotisierenden Landkarten aus Pfeilen und nummerierten Strichen wuchern. Die Spezialität der 1977 geborenen Künstlerin sind Tinten- und Bleistiftzeichnungen. Was abstrakt anmutet, entpuppt sich als eine Ansammlung von akribisch angelegten Ordnungssystemen. Unter dem Titel „Superdestinations“ zeigt Voigt neue Arbeiten, die sich auf die Suche nach einem reduzierten Schriftsystem begeben. In den drei Räumen sorgen die Werktitel für Orientierung: Sie geben Hinweise auf den Ort, der sich in der jeweiligen Wahrnehmungsstudie spiegelt, etwa der Botanische Garten der Universität Bonn. Seinen Farbenreichtum galt es zu übersetzen, in einen Code, der Aufschluss über die Proportion oder die Jahreszeit gibt. Wie gut, dass sich die Bilder auch fern des Intellekts genießen lassen: Als archaische Kritzeleien, die längst ein Eigenleben entwickelt haben.

Ein paar Straßen weiter, in der jungen Galerie Charlotte Desaga, sind Stoffarbeiten der in einem Bauwagen lebenden Kölnerin Nie Pastille als Wandobjekte aufgehängt. Die Atmosphäre des hippiesken Musterrauschs der munter um sich selbst wirbelnden Fetzen, greift auch auf den Galerieraum über, der trotz seiner aseptisch weißen Wände wohlige Wärme versprüht. Die temporäre Altbauwohnung am Sudermannplatz setzt noch einen drauf: Effektvoll kontrastiert sie entlang der abblätternden Ornament-Tapeten die Temperamente der sechs zu einer Gruppenschau versammelten Künstler, von den verhuschten Bleistiftzeichnungen eines Robert Kraiss bis zu den humorvollen, der Schwerkraft mit Sinn für Formenakrobatik trotzenden Keramikskulpturen von Julia Pfeiffer.

Insgesamt keine Frage, Köln und Düsseldorf haben das Steuer umgerissen und sind auf dem Weg in die aktuelle Legendenliga. Sollten sie vom Kurs abkommen, bleibt immer noch das alljährliche Freundschaftsspiel im Herbst, die DC-Open.