Malerin Elizabeth Peyton

"Heroische Kunst voller Schönheit"

Elizabeth Peyton fing an zu malen, als die Malerei für tot erklärt wurde. Im Monopol-Interview spricht sie über Männlichkeit, Celebrity-Kultur und ihr Merkel-Bild

Ihre erste Ausstellung fand 1993 im Chelsea Hotel in New York statt. Ich erinnere mich, dass diese Zeit von Ironie und Zynismus geprägt war. In Ihren Bildern steckt nichts davon.
Das stimmt. Sogar an der Hochschule und nach der Ausstellung konnten die Leute nicht glauben, dass ich die Leute liebe, die ich male. 

Wie haben Sie die frühen 90er erlebt?
Es war die Zeit des Irakkriegs, der erste Krieg, der 24 Stunden auf CNN übertragen wurde. Man konnte zuhause bleiben und alles sehen, was geschah. Ich war Mitte zwanzig und fürchtete mich. Ich hatte als Amerikanerin Angst, dass mich jemand dafür hassen würde. Ich vermied es, mich an Orten mit vielen Menschen aufzuhalten. Alles fühlte sich sehr angreifbar an.

Die Verletzlichkeit ist auch in Ihren Bildern zu sehen, das hat kaum jemand gemacht.
Ich dachte damals, dass so etwas fehlt. Ich sah nirgendwo etwas über Liebe, oder etwas Heldenhaftes. Oder dass diese Dinge überhaupt in Kunst behandelt werden könnten. Gleichzeitig fielen mir durchaus Dinge ein, die eine heroische Qualität hatten, und die mir halfen, weiter an etwas zu glauben. Die mir halfen, zu leben.

Die Kunstdiskurse damals behandelten ganz andere Dinge.
Ein großer Teil von dem, was mir beigebracht wurde, war, wie problematisch Schönheit in der Kunst ist. Wie korrumpiert sie sei, und missbraucht von den Mächtigen. Ich hatte die postmoderne Theorie verinnerlicht. Natürlich wollte ich nicht, dass Kunst von einer Ölfirma benutzt wird. Ich wollte aber Kunst sehen, die heroisch und voller Schönheit ist. Und ich war sicher, es könnte einen Weg geben, etwas Schönes zu machen, das nicht dumm ist und nicht vereinnahmt werden kann. Die Schönheit kann in der Kunst etwas Explosives haben und zu einem positiven Wandel und zu Freiheit inspirieren. Es gab einige sehr literarische Bezüge, ich hatte zum Beispiel über König Ludwig II. gelesen, wie er die Büste von Marie Antoinette auf seiner Terrasse liebkost. Es gab kein Bild davon, und ich wollte es sehen.

Auch Malerei spielte damals in der Kunst keine große Rolle.
Während des Studiums und danach gab es ständig Debatten um die Frage vom Tod der Malerei. Ich verstehe, woher das kam: Gibt es irgendeinen Grund, ein Gemälde zu machen? Und dann auch noch ein figuratives? Die Märchen von Meisterschaft und Illusion waren vorbei. Aber das spielte sich eben nur innerhalb der Kunst ab, während in der großen Welt der Bilder Malerei nie vorbei war. Menschen liebten sie immer und ich glaube daran, dass man eine Weg finden kann, so zu malen, dass es sich wieder lebendig anfühlt und relevant für die Kultur, in der wir leben.

Warum fokussieren Sie sich in Ihren Porträts hauptsächlich auf Männer? Geht es darum, dem männlichen Gesicht eine neue Qualität zu geben?
Ich weiß es nicht. Ich glaube diese Qualität war immer da, und ich habe mich einfach darauf konzentriert. Für mich war das männliche Gesicht unbekannter, weniger besetzt. Es gab viel Raum für mich, damit etwas zu machen. Weibliche Schönheit war so bekannt und codiert. Ich habe damals nicht bewusst darüber nachgedacht, aber ich habe wohl etwas Feminines vermisst, sei es im Bildnis eines Mannes, einer Frau oder in Abstraktion. Die Dinge, die in der Kunst geschätzt wurden als ich anfing, waren hauptsächlich männlich. Rational, in großen Formaten, nicht gefühlsbetont. Egal ob sie von Künstlerinnen oder Künstlern gemacht wurde – das waren die Qualitäten, die angesehen waren.

Es hat auch etwas Subversives, beispielsweise einen selbsterklärten Macho wie Liam Gallagher auf eine feminine und zarte Weise zu malen.
Er sang romantische Lieder über Liebe und Verlust, das ist doch ziemlich feminin. Ich wollte Menschen zeigen, die Künstler sind. Die sich selbst und ein Werk erschaffen. Es ist schwer, etwas zu machen, und es ist wirklich einfach, etwas nicht zu machen. Und Menschen, die etwas machen müssen, kämpfen und haben Schwierigkeiten. Sie fühlen sehr viel, und es ist ungeheuer anstrengend, etwas zu machen, das es noch nicht gibt. Aber sie tun es, und das ist ein Wunder. Ich glaube, so habe ich diese Menschen betrachtet.

Geht es Ihnen nicht um Celebrity-Kultur?
Ich male keine Celebrities. Aber ich mache mir zunutze, dass es einfacher ist, Bilder von bekannten Menschen zu finden. Das wurde seit meinen Anfängen immer einfacher durch das Internet. Aber es interessiert mich nicht, die Celebrity-Kultur zu kommentieren. Ich male hauptsächlich Menschen, die etwas machen. Und dann kommt es vor, dass Menschen, die der Kultur, in der sie leben, sehr sensibel gegenüber sind, Dinge erschaffen, durch die sie sich mit anderen verbinden, und dass sie dafür gefeiert werden. Das sollten sie auch, und das ist etwas Magisches. Wir leben in derselben Welt, wir fühlen dieselben Dinge.

Aus Betrachtersicht ist diese Bildwelt bekannter Persönlichkeiten auch eine gemeinsame Sprache, die man teilt und versteht, weil man sich zu den Porträtierten verhalten kann.
Diese Identifikation ist mir manchmal wichtig. Sie kann einem ins Bild helfen. Aber ich mache auch Bilder von meinem Hund oder von Elio aus dem Film "Call Me By Your Name". Viele meiner Bilder zeigen Menschen, die kaum einer kennt.

Sie malen nach Fotos, aber es kommen auch Menschen zu Ihnen ins Atelier die für Sie Modell sitzen. Was ist der Unterschied?
Wenn jemand im Studio für mich Modell sitzt, ist die Angst sehr präsent: Jetzt passiert es, und es gibt so viele Möglichkeiten! Man will die andere Person ja auch nicht ewig da sitzen lassen. Ich merke, dass der Andere und ich wirklich viel Vertrauen aufbringen müssen, damit es passiert. Ich bin dankbar dafür, das zu erleben und diese Zeit so mit ihnen zu verbringen. Manchmal kenne ich den Menschen, den ich male, schon fünf Jahre, und dann kommen all die fünf Jahre des Sehens und der Beobachtung mit ins Bild. Der Unterschied ist die Unmittelbarkeit und das Licht. Ich liebe es, dass jemand einfach hereinkommt wie Sie vorhin, und sich hinsetzt, und alle Entscheidungen, die er oder sie getroffen hat, sagen schon so viel über unsere Zeit aus: Haare, Ohrringe, Kleidung. Es ist alles schon da. Ich bitte nie jemanden, etwas Bestimmtes anzuziehen, ich bin einfach neugierig darauf, wie sie kommen und sitzen. Das sagt schon so viel.

Ist es anders, wenn Künstler für Sie Modell sitzen?
Meine Erfahrung ist, dass man sie sehr gut malen kann, auch Kreative aus anderen Bereichen, einfach weil sie daran gewöhnt sind, zu fokussieren. Ihre Gehirne können das, und das hilft. Man kann mit diesen Menschen einfach in einem Raum sitzen, ohne Fragen. Es ist eine seltsame Situation, und nicht jeder beherrscht sie.

Kann man Menschen auch kennenlernen, deren Fotos man genau studiert, so wie sie es tun?
Ich denke oft, dass Menschen nicht wirklich wissen, wie andere aussehen. Das Gehirn generalisiert immer: Ah, das ist die Blonde da, und dann hört man auf, genauer hinzusehen. Ich versuche, alles reinzulassen. Und mit der Zeit lasse ich mich auch mehr auf die Malerei ein. Ich lasse die Dinge geschehen.

Sie haben einmal den unbewussten Aspekt des Malens erwähnt, können Sie den beschreiben?
Ich habe, bevor ich male, bestimmte Routinen, um mich frei zu machen. Ich mag physische Aktivitäten, ich gehe spazieren, meditiere, und auch repetitive Musik kann dazu beitragen. Die kann auch helfen, in eine bestimmte Gefühlslage zu kommen. Ich möchte ein bisschen Bewusstsein loswerden. Ich schaue nur und reagiere, reagiere und male, male und reagiere. Ich glaube, den meisten Künstlern fällt es schwer, wirklich zu erklären, wie sie etwas gemacht haben.

Ist Ihnen denn bewusst, wie viel Aufmerksamkeit Sie durch die Wahl Ihrer Motive erzeugen können?
Wenn man Künstler ist und auf die Welt sensibel reagiert, hofft man doch, dass das, was man in die Welt wirft, auch landet. Man hofft, dass die anderen es auch fühlen. Ich ziele nicht darauf ab, aber wenn man empfindsam ist für die Zeit, in der man lebt, dann trifft man vielleicht einen Punkt, auf den man dann Reaktionen bekommt.

Ihr Gemälde von Angela Merkel hat in Deutschland sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Was hat Sie an ihr interessiert?
Es gab die ungewöhnliche Situation, dass mich jemand anrief und mich bat, sie zu malen. Normalerweise mache ich keine Auftragsarbeiten, aber ich bekam den Anruf mit dem Auftrag, sie zu porträtieren, zwei Blocks von ihrer Wohnung entfernt. Ich hatte tatsächlich gerade über sie nachgedacht. Der Präsident der Vereinigten Staaten war soeben aus dem Kyoto-Abkommen ausgetreten und ich dachte: "Oh, sie ist jetzt die Anführerin der freien Welt." Als der Anruf kam und jemand mich fragte, ob ich ihr Porträt malen könnte, weil sie zu beschäftigt sei, um sich fotografieren zu lassen, sagte ich ja. Eine Ehre und Herausforderung. Es ist eine Collage von Bildern aus über zehn Jahren, ich habe viele Videos von ihr angesehen. Sie hat viel zu sagen, und sie hat sehr humane Anliegen. Darin wollte ich sie gerne irgendwie unterstützen.

Wo ist das Gemälde jetzt?
Ich kann es nicht sagen, es ist in Privatbesitz. Aber es könnte eines Tages ausgestellt werden.

Elizabeth Peyton und Galerist Thaddaeus Ropac auf der Eröffnung der Ausstellung "EVENTYR", die noch bis zum 25. August in der Galerie Thaddaeus Ropac in Salzburg zu sehen ist