Neïl Beloufas Spielfilm "Occidental"

Heute Nacht oder nie

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Neïl Beloufa "Occidental", 2017, Filmstill, Szene mit Idir Chender und Paul Hamy

Packender Mix aus Thriller, Melodram und Sitcom: Der bildende Künstler Neïl Beloufa zeigt seinen zweiten Spielfilm "Occidental" im Berlinale-Forum

Das Hotelfenster ist halb geöffnet, als wäre gerade jemand vom Sims gesprungen. Während die Kamera ins Zimmer zurückfährt, sind Bügelbrett und -eisen zu sehen, doch der dicke Qualm im Raum stammt nicht von angesengter Wäsche. Ein Großfeuer breitet sich im Dreisterne-Hotel Occidental aus. Ein junger Mann spricht durch eine geschlossene Zimmertür. Ein anderer – vielleicht der Angesprochene, vielleicht auch nicht – liegt unter Mobiliar begraben.

"Occidental" von Neïl Beloufa beginnt rätselhaft. Schnell wird klar, dass die Eröffnung das Finale vorwegnimmt. Die Geschichte einer Handvoll Leute, die sich an einem Abend in einem Pariser Hotel zuträgt, wird offenbar katastrophal enden. Mit dieser Vorinformation schürt Beloufa eine Spannung, die er über knappe anderthalb Stunden zu halten vermag. "Occidental", der im Forum der Berlinale Premiere feiert, ist ein packender Mix aus Thriller, Melodram und Sitcom.

Der französisch-algerische Künstler Beloufa (Jahrgang 1985) ist vor allem durch Videoarbeiten und Installationen bekannt, die TV-Trash und Popkultur zitieren. Mit "Jaguacuzzi“"installierte er in der Premierenschau der Berliner Julia Stoschek Collection im vergangenen Jahr ein Entertainment-Cockpit, in dem man bequem herumlungern und verschiedene Videos konsumieren konnte. Solcherart hinterlistige Oberflächlichkeit prägt auch "Occidental", Beloufas zweiten Spielfilm nach "Tonight and the People" (2013). Story und Filmset erinnern an billig produzierte Telenovelas. Das Rahmengeschehen wurde ebenso in der Studiokulisse gedreht: Auf der Straße vor dem Pariser Hotel finden Straßenkämpfe statt. Wogegen demonstriert wird, bleibt unklar.


Die Story: Im Hotel checken zwei Männer ein, die die Honeymoon-Suite gebucht haben. Aber sind Giorgio und Antonio wirklich schwul? Die Hotelmanagerin Diana hat einen Verdacht, den sie gegenüber ihren Mitarbeitern – der naiven Rezeptionistin Romy und dem zu Ohnmachtsanfällen neigenden Hotelboy Khaled – aber nicht präzisiert. Seltsam auch, dass sich der Akzent der beiden angeblich italienischen Gäste mit lupenreinem Französisch abwechselt und, so Dianas feste Ansicht, Italiener niemals Coca Cola trinken. Die basslastige Elektromusik von Gregoire Bourdeil und Alexandre Geindre stützt die von Verschwörungstheorien und mysteriösem Getue aufgeheizte Atmosphäre. Als Sidekicks tritt zwischenzeitlich eine Gruppe trinkfreudiger britischer Jugendlicher, ein älterer Herr mit junger, attraktiver Begleiterin und ein Polizisten-Trio auf.

Gerufen wurden die Beamten von der Hoteldirektorin, die sich bald selbst mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, sie habe aufgrund rassistischer Vorurteile die Polizei alarmiert. Diana muss die Polizei ziehen lassen, macht sich in der Honeymoon-Suite auf eigene Faust auf die Suche nach Indizien, entdeckt im Schein ihrer Taschenlampe einen mysteriös leeren Koffer und wird, von Giorgio ertappt, gewalttätig. Inzwischen hat Antonio in der mürrisch-psychopathischen Managerin die Doppelgängerin einer früheren großen Liebe erkannt. Oder sind seine Verflossene und Diana sogar identisch?


Beloufa, der auch das Drehbuch zur Hotel-Schmonzette schrieb, spielt einfallsreich mit Sprachklischees und Fernsehroutine. Narrative Fährten werden gelegt und dann nicht weiterverfolgt; der Plot – oder besser: das verworrene Bündel an Handlungssträngen – löst sich in Luft auf. "Occidental" dreht sich um Fremdenangst, Terror-Paranoia, das Auseinanderdriften von Orient und Okzident, soviel ist klar. Doch Beloufa, der das Script übrigens vor den Pariser Anschlägen vom November 2015 fertig hatte, verfolgt keine spezifische politische Agenda. Es geht um Stimmungen, gekünstelte Gesten, falsche Rhetorik und die Fünkchen Wahrheit, die das Strohfeuer hell aufflackern lassen.

Auf die Fesselkünste kommt es hier an: "Occidental" ist keinen Moment langweilig. Fassbinder konnte es, Almodovar und Ozon haben es drauf – und mit Neïl Beloufa scheint der nächste passionierte Melodram-Ironiker geboren.

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