Kunstmessen

Friede den Hütten

Es ging ja einmal darum, die Schwelle niedrigzulegen, die Leute reinzuholen, in die Kunst. In den 70er-Jahren behaupteten die progressiven rheinischen Kunsthändler, dass man Kunst genauso an Ständen verticken könne wie Frischgemüse –  schon war der Kunstmarkt da. Bald allerdings firmierte man, auch in Basel, wo kurz darauf die internationale Art Basel gegründet wurde, unter der Rubrik „Messe“, was eben auch bedeutete, dass man sich in Vielzweckhallen wiederfand, auf Auslegeware, zwischen Wänden aus Rigips, die von Multilichtleisten ausgeleuchtet wurden.

Dennoch liebten die exklusiven Endverbraucher (die Sammler) diese Kunstmessen, waren sie doch Anlass und Ausgangspunkt für die großen Kunstfeste des ersten Kunstbooms in den 80er-Jahren. Das war die Gründerzeit. Wer als unternehmungslustiger Sammler, Kurator oder Kritiker in den Folgejahren tatsächlich von Messe zu Messe reiste, konnte sich allerdings vorkommen, als drehe er sich unaufhörlich in ein immer weiter verschachteltes weißes Labyrinth ein, die Routen von A.001 bis II.M.599 dehnten sich ins Unendliche.

Die Unfair in Köln, die Liste in Basel etablierten sich als Sezessionisten, bevor sie zu beachteten Marktplätzen aus eigenem Recht wurden; auch weil sie jung waren. Auch die Gründung des Art Forum im Berlin-Mitte der 90er-Jahre fällt unter diese Zukunftsbehauptungen, weil Berlin als Kunst- und Künstlerstadt damals gerade erst erfunden wurde. Die etablierten Messen mussten sich unterdessen künstlerische Direktoren und Zulassungskomitees leisten, und wie sie schlussendlich aussahen, wurde oft auch vor Gericht entschieden, wo sich die Aussortierten einklagten –  sie bezogen in den Riesenhallen der langen Wege schlussendlich wenigstens die toten Ecken.

Alles war wieder möglich
Als die Kunst boomte, wuchsen den Messekalendern, die inzwischen aussehen wie lange Leitern, immer mehr Sprossen. Viele wollten mit der Kunst ins Geschäft kommen, und auch an Orten, wo es keine Künstler und keine Sammler, kaum Museen und kein Publikum gab, entwickelte man die Szene, indem man sie anfütterte: In Hongkong, Shanghai, Abu Dhabi oder Dubai war man weniger Entrepreneur als vielmehr das Ausrufezeichen auf einer Behauptung: die teuer bezahlte Preziose im Portfolio von Orten, die städtisches Leben am Reißbrett planen und einkaufen.

Zwei Unternehmungen waren anders: die im Jahr 2003 gegründete Frieze Art Fair in London und der Ableger der Art Basel in Miami (2002), beides Messen mit dezidiert zeitgenössischem Profil. Die eine baute der Kunst ein Zelt im Regent’s Park auf, die andere musste sich zwar in einer Investitionsimmobilie der Schweizer Muttergesellschaft einrichten, warf der jungen Kunst am Strand die Container aber einfach in den Sand. Im vergangenen Jahr entwarf Pae White für die Küstenlinie eine temporäre Architektur: Alles war wieder möglich. Auch, dass sich rund um diese beiden Erfolgsmodelle zahlreiche Nebenmessen, Pulse, Scope, Show, Nada oder Print anhängten – sogar eine Berliner Liste gab es.

Architektur der Abweichung
Die große Art Cologne verdunkelte in der lustigen Dark Fair sogar den großen Saal eines Kunstvereins, anschließend konnte eine Handvoll Galerien dort zeigen, was sein eigenes Licht mitbringt: Film, Video, Neonfarben, Lichtkunst ...

Im Konkurrenzkampf entdeckt man nun – endlich – die Architektur und die Abweichung: Seit sie unter der Glasdecke des Grand Palais residiert, ist die Fiac eine der ersten Adressen, die, genauso wie die Frieze, Hunderte Bewerber ablehnen kann. Es herrscht wieder Gründerzeit, aber sie sieht anders aus. Man muss die Schwelle nicht mehr absenken, bloß nicht – den Sammlern steht die Tür ohnehin weit offen: Während sich Orte wie Karlsruhe über die Etablierung einer Riesenmesse freuen und sogar München sich mit der Contempo in diesem Herbst an einer Messe für Zeitgenössisches versucht, reüssieren in der Szene auch feinere Formate: Das Gallery Weekend in Berlin, die zum gemeinsamen Event deklarierten Vernissagentage, ist so erfolgreich, dass es inzwischen von New York kopiert wird.

Statt die Kunst also ausschließlich in Transportkisten und Containern durch die Zollformalitäten zu schleusen, können Sammler jetzt wieder die Kunst dort abholen, wo sie zu Hause ist: Vom Atelierbesuch bis zum Museumsgroßereignis können beide Städte sich als Ursprungsorte profilieren.

Den kapitalen Hallen erwachsen kleine Geschwister
In Berlin ist es fast schon Tradition, dass sich die junge Szene mit 7  x  2 oder Sunday in einem Treppenhaus oder zum Trockenwohnen eines Neubaus an die Großereignisse anhängt. Unterdessen brechen Galerien aus Polen, Belgien, Deutschland und der Türkei nach Reykjavík auf, wo man die rezessionsbedingt leer stehenden Schaufenster mit Kunst füllen kann: 2010, so heißt es, kommt die Krise tatsächlich auf dem Kunstmarkt an. Das kann sein, aber der richtet sich dann eben zeitgemäß ein: Die neuen Sehnsuchtsziele sind Häuser der Selbstvergewisserung, der Verortung – der historische Glasbau in Paris, das Schaufenster des Bankrotteurs, der sozialistische Wohnpalast an der Karl-Marx-Allee. Den kapitalen Hallen erwachsen also kleine Geschwister, und sie sind frech und besitzen den Vorteil der Jugend.