"March Meeting" im Emirat Schardscha

"Freiheit sollte nicht der einzige Wert sein"

Judith Greer, die Sharjah Art Foundation beauftragt außergewöhnlich viele Kunstwerke. Warum?
Im Westen unterstützen Institutionen, Sammler und Privatgalerien traditionell Künstler darin, Kunstwerke zu produzieren, ob für den privaten oder institutionellen Bereich. In Schardscha und quer durch den Nahen Osten fehlt diese Tradition. Deshalb waren Künstler aus diesen Regionen nicht in der Lage, Kunstwerke herzustellen, die für Institutionen und Sammlungsankäufe interessant wären. Es mangelt den Künstlern an einer Struktur, die es ihnen erlauben würde, an ambitionierten und innovativen Formaten zu arbeiten, das heißt gute Kunst herzustellen. Und das bedeutet, dass diese Künstler in keinem Museum repräsentiert sind. Mit der Sharjah Art Foundation und anderen Initiativen hat sich diese Situation endlich verändert, das Ergebnis lässt sich messen: Werke, die hier produziert wurden, erreichten Institutionen weltweit.

In Ihrer Eröffnungsrede erwähnten Sie eine Auftragsarbeit, die im vergangenen Jahr anlässlich der Sharjah-Biennale entstand: Eine Installation von Mustapha Benfodil wurde nach Protesten entfernt (Monopol berichtete). Wollten Sie mit Kuratoren, Künstlern, Politikern und Wissenschaftlern über Ihre Erfahrungen mit Auftragsarbeiten diskutieren, damit sich dieser Vorfall nicht wiederholt?
Wir sind eine kleine Organisation und waren vielleicht etwas zu ambitioniert. Im vergangenen Jahr fand die Kommunikation, die Künstler und Kuratoren für gewöhnlich pflegen, sobald ein künstlerischer Vorschlag angenommen wurde, leider nicht statt. Es gab so viele Arbeiten, so viele Kunstwerke und so viele Auftragsproduktionen. Was der Künstler mit seiner Arbeit erreichen wollte und was es für eine Institution bedeutet, diese Arbeit zu zeigen? Niemand hat mit dem Künstler die Parameter seiner Arbeit diskutiert, keiner der Vorgesetzten wusste von der Arbeit. Der Platz direkt neben der Moschee wurde nicht ausgewählt, um zu provozieren, sondern weil er die richtige Größe für die Arbeit hatte.

Der künstlerische Leiter der Sharjah Art Foundation Jack Persekian musste in der Folge des Vorfalls zurücktreten.
Er wurde entlassen. Nicht alle Gründe, die dazu geführt haben, sind für die Öffentlichkeit bestimmt. Aber ich würde gerne betonen: Sobald eine Institution sich so schnell vergrößert und so wichtig wird wie die Sharjah Art Foundation, trägt man der Öffentlichkeit gegenüber eine gewisse Verantwortung. Der Vorstand einer Institution muss sich das Vertrauen der Öffentlichkeit sichern. Die Arbeit von Benfodil hat dazu geführt, dass die Stiftungsleitung es im vergangenen Jahr bis zu einem gewissen Grad verloren hat.

Der Vorstand entspricht in Schardscha der Regierung. Wenn es um provokante Kunstwerke und ihren Abbau in nicht-demokratischen Ländern geht, werfen westliche Journalisten Institutionen Einschränkung künstlerischer Freiheit vor, eine Kritik, die auch die Sharjah Art Foundation erfahren hat.
Uns hat dabei wohl am meisten entmutigt, dass diese Terminologie – „Zensur“, „künstlerische Freiheit“ – die Dinge so sehr vereinfacht, dass keine fruchtbare Diskussion mehr entstehen kann.

Welche Begriffe eignen sich, um solche Vorfälle zu beschreiben oder gar zu beurteilen?
Wir ringen alle mit dieser Frage. Und bisher war noch niemand in der Lage, diese Dinge adäquat zu diskutieren, eine kulturelle Sensibilität und ein Verständnis zu entwickeln, das uns die Freiheit gibt, Kunst zu machen, die die Welt, in der wir leben, zum Ausdruck bringt, ohne dabei andere anzugreifen und zu beleidigen. Wir müssen die Frage, wie Künstler relevant und bedeutungsvoll für uns sein können, neu verhandeln. Vielleicht sollten wir anfangen darüber nachzudenken, wem gegenüber sich Künstler ausdrücken und an wen sich ihre Kunst richtet. Künstlerische Freiheit an und für sich sollte nicht der einzige Wert sein, der eine Kunstinstitution legitimiert und mit dem man die Frage klärt, ob man eine Arbeit ausstellt.