Kunst-Werke Berlin

Feuer an Dynamit: Kelm, Breuer, Jensen suchen Verstörung

Nullpunkt des großstädtischen Sicherheitsmanagements: Altglascontainer dürfen nicht in der Nähe von Bushaltestellen stehen, sonst fischen Jugendliche Flaschen aus den Behältern und bewerfen die Wartenden. Zu dieser kurzfristigen aber wirkungsvollen Lösung ist die Londoner Stadtverwaltung gelangt. Der in der britischen Hauptstadt lebende Künstler Wolfgang Breuer nimmt darauf Bezug und stellt in einem Raum in den Berliner Kunst-Werken (KW) eine komplette Bushaltestelle und mehrere Container. Feuer an Dynamit: Kennt man erst die Geschichte dahinter, wirkt das Ganze wie eine trotzige Aufforderung, eins und eins zusammenzudenken – und die Revolte zu starten.
 
An den Wänden hat Breuer löchrige Metallplatten geschraubt und in die Löcher Beeren gesteckt; dieses urbane Schlachtfeld nennt er "Organic Food Shop". Als wolle er sich lustig machen über die Harmoniesehnsucht junger Großstädter, jener besserverdienenden Opfer, die dann mit Flaschen und Widersprüchen konfrontiert werden.
 
Verunsicherung auf ihre eigene Weise betreiben auch Annette Kelm und Sergej Jensen, die gemeinsam mit Breuer in den KW je eine eigene Etage bespielen. Das Konzept der Kuratorin Susanne Pfeffer, einmal im Jahr eine dreifache Einzelausstellung zu präsentieren, bei der die Positionen nicht thematisch aneinander gebunden sind, hat sich bewährt. Pfeffer übernimmt mit ihrer Institution Aufgaben, die in Berlin von einer Kunsthalle erwartet wurden: unumständlich zu präsentieren, woran hier und anderswo gerade gearbeitet wird und dabei in der Auswahl genau das richtige Händchen zu beweisen. Die Künstler sollten von sich Reden gemacht haben - und doch unverbraucht sein.
 
Kaum zu glauben etwa, dass Annette Kelm vorher noch keine institutionelle Einzelausstellung in Deutschland hatte. Der große Raum im Erdgeschoß tut den Fotografien der 33-Jährigen wirklich gut - Stichwort: Verunsicherung. Auf den Stillleben wirken die Objekte absolut verloren und bezugslos. Sie sehen seltsam aus und auch etwas lachhaft: die Kappen aus geflochtenem Bast (oder aus welchem Stoff sind die?), die Handtasche mit integriertem Wecker, die zerlöcherten Zielscheiben. Der surreale Effekt verstärkt sich, wenn die in Stuttgart geborene Berlinerin Fotos von industriegefertigten Gegenständen in Serie nebeneinander hängt. Als betone sie mit ihren Aufnahmen wie das wirkmächtige Fotografenehepaar Becher eine Typologie in den Dingen, nur dass es bei Kelm eine Typologie des Surrealen wäre.
 
Ähnlich wirken später, in einem oberen Stockwerk, die Leinwände von Sergej Jensen: Wie da verschiedene gebleichte, zerknitterte, gestreckte Stoffe zusammengenäht sind zu matten Farbfeldern, die sich gegenseitig ausweichen oder bedrängen, sich aneinander klammern.Das hat etwas Verstörendes und Zartes. Würde es naive Malerei geben, die nicht figürlich ist, sähe sie so aus. Der eigentliche Malgrund, die Leinwand, der Keilrahmen, ist hier bereits Malerei, Teil des Bildes.
 
Jensen hat darauf bestanden, dass auch die Umgebung für seine Werke kein White Cube ist. Also hat man den Teppich und die bemalten Wände einfach aus der vorherigen Ausstellung "Vorspannkino" übernommen, mitsamt der Abbruchspuren, die die Zwischenwände hinterlassen haben. Das wiederum passt wunderbar zu der zerstörten Stadtarchitektur von Breuer, und Verunsicherung schiebt sich in Verunsicherung, so dass es schon fast wieder Harmonie ergibt.
 


Kunst-Werke, Berlin, bis 19. Juli 2009