Erfolg hat nicht immer nur positive Nebenwirkungen. Hollywoodstars können darüber viele Lieder mehrstimmig im Chor singen. Im Fall von Anthony McCall, dem britischen Künstler, führten die Nebenwirkungen dazu, dass er seine künstlerische Arbeit über 20 Jahre lang eingestellt hat. Wenn man ihn fragt, ob er die Entscheidung bereut, ob er sich Gedanken macht, was wäre wenn, schaut er erst einmal in die Augen seines Gegenübers, wiederholt langsam: "Bereut?" Pause. Und entscheidet sich zu lachen. Seine Antwort: "Wäre es später am Tag und ich betrunken, würde ich es so sagen. Ich habe 25 Jahre meines Lebens verschwendet." Wegen des Rauchverbots in Museen und Kunsthallen. Und weil es in den 70er-Jahren noch keine Nebelmaschinen gab.
Plötzlich waren nämlich seine "solid-light films", seine Filme aus reinem Licht nicht mehr sichtbar. Sie brauchten die Nebelschwaden, die über den rauchenden Besuchern in New Yorker Lofts oder Film Kooperativen hingen. Als er erfolgreicher wurde und Museen und Kunsthallen ihn ausstellten, musste er feststellen, dass seine Arbeiten nicht mehr zu sehen waren. Da half es auch nicht, dass er selbst in den nächsten Tabakläden stürmte, sich drei Zigaretten gleichzeitig anzündete, um den Rauch gen Projektoren ausatmen zu können. Von Sicherheitskräften wurde er aus der Kunsthalle Malmö entfernt. Erst Mitte der 90er-Jahre wurde McCall auf Nebelmaschinen aufmerksam. Seine Rettung. Er begann wieder künstlerisch zu arbeiten und übergab das Designbüro an seine Kollegen.
Von McCall gibt es nur ein Früh- und ein Spätwerk
In den 70er-Jahren war er zwar als ausstellender Künstler gefragt, konnte aber seinen Lebensunterhalt mit seiner Kunst nicht bestreiten. Also machte er das, was er ursprünglich einmal gelernt hatte. Grafikdesign. McCall spricht nicht gerne über diese Zeit, er versucht aktiv darüber zu schweigen. Pause, 20 Jahre lang, mehr erfährt man in Interviews und Texten sehr selten, darauf ist McCall bedacht.
Wenn man doch etwas aus ihm herausbekommt, versteht man, warum er lieber nicht darüber sprechen würde. Für fast alle großen amerikanischen Museen und Galerien hat er als Designer Kataloge gemacht oder gleich ganze Corporate Identities entwickelt, er erwähnt das MoMA und David Zwirner. Und sagt im gleichem Atemzug, sobald er das erzähle, sei seine künstlerische Arbeit im Gespräch erst einmal kein Thema mehr. Als Mitherausgeber von Publikationen ließ er sich nur sehr selten nennen, obwohl es vielfach Teil seines Jobs war. Ganz so, als wäre ihm immer daran gelegen gewesen, diese 20 Jahre möglichst ungeschehen zu machen. Und er redet nicht gern über diese Zeit, weil er wegen der ausgedehnten Pause kein mittleres Werk vorzuweisen hat. Es lässt sich aber auch positiv wenden, im Sinne einer Kontinuität seines Werkes.
Als er Anfang 2000 seine Arbeit an den "solid-light films" wieder aufnahm, machte er einfach dort weiter, wo er aufgehört hatte. Nur nicht analog. Inzwischen muss er keine schweren, surrenden Projektoren mehr aufstellen, sondern kann Beamer an die Decke hängen.
"Kunst ist eine Erfahrung"
Die Fundació Gaspar in Barcelona zeigt jetzt in der Ausstellung von Anthony McCall mit dem Titel "Solid Lights, Performance and Public Works" in den zwei zentralen Räumen seine filmischen Arbeiten. Es ist die erste große Schau von McCall in Spanien.
Die Fundació wurde erst letzten November eröffnet, als neues Kulturzentrum für Gegenwartskunst von internationalen Künstlern, die sonst nicht in Barcelona zu sehen sind. "Barcelona ist eher klassisch ausgerichtet, die Gegenwart hatte bisher nicht wirklich einen Platz", erzählt Moishan Gaspar, der Kopf hinter dieser privaten Initiative. Der Nachbar ist das Museu Picasso, und wer nicht darauf achtet, wohin es geht, sondern einfach dem Menschenstrom in den engen Gassen im Viertel La Ribera folgt, findet sich plötzlich vor diesem Museum wieder, das auf fünf Stadtpaläste aus dem 13. und 15. Jahrhundert verteilt ist. Die Fundació Gaspar ist auch in einem dieser gotischen Paläste aus dem frühen 15. Jahrhundert untergekommen, nur eben ein paar Meter die Straße runter.
"Kunst ist eine Erfahrung", sagt Kuratorin Gloria Moure. Anthony McCall sei das beste Beispiel dafür, deshalb die Ausstellung. Fünf Monate wurden Schau und Katalog vorbereitet, die das Frühwerk mit dem Spätwerk verbinden, ja, es einfach fortschreiben. Eigentlich begann McCalls künstlerische Laufbahn mit einer Performance, das Medium Film war nur Notbehelf, denn irgendwie mussten die Geschehnisse dokumentiert werden.
Sein Film "Landscape for Fire", Dokumentation der gleichnamigen Performance, eröffnet die Ausstellung und führt direkt in die Dunkelheit, die McCall schon immer für sein Werk braucht. Während der Performance wurde in stockdunkler Nacht Feuer der Reihe nach in Behältern entfacht, die einem bestimmten Raster nach in einer Landschaft angeordnet wurden. Wenn schließlich alle Feuer brennen, verbinden sie sich zu einer Linie, wie die Lichter auf einer Landebahn.
McCall allerdings war das zu wenig: Ein Film, der nur die Vergangenheit dokumentiert. Eine Performance, die Besucher einer Galerie oder eines Museums nicht selbst erleben. Also suchte er nach einer Möglichkeit, einen Film zu machen, der sich nicht auf die Vergangenheit bezieht und landete bei den "solid-light films". Einem Film, der zwar noch Film ist, gleichzeitig aber auch Installation und Skulptur. Den Sprung macht auch die Ausstellung im nächsten, dem zentralen Raum. "Coming About" heißt die Arbeit aus dem Jahr 2016. Als McCall wieder anfing künstlerisch tätig zu werden, wurden aus deskriptiven Titeln wie "Line Describing a Cone", Titel, die einen Bezugspunkt außerhalb des Werkes haben. Zwei Projektoren, zwei Lichtquellen, zwei Lichtkegel und Linien auf dem Boden, die er Fußabrücke nennt, alles andere sei Körper, sagt McCall. Wie beim Betrachten einer Skulptur laufen die Besucher umher, nähern sich dem Objekt von allen Seiten, gehen durch eine Wand aus Licht und greifen von Innen durch diese Wand aus Licht hindurch, lassen die Hand daran entlang gleiten und bekommen sie doch nicht zu fassen. McCall zeigt Filme ohne erkennbaren Start- und Endpunkt, das schnellste Element im Raum ist der Besucher, der erst merkt, dass sich überhaupt etwas bewegt, wenn der Blick wandern war und die Linien am Boden plötzlich verschoben sind.
Vor dem Hintergrund der Berlin Biennale, wo fast alles quietschbunt und laut ist und die Filme erzählen und erzählen, sich Etiketten ankleben lassen müssen wie Post-Internet und Post-Contemporary, wo Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart alles zugleich sind, vertraut und unwägbar, da hat diese Schau von Anthony McCall eine beruhigende Wirkung – mindestens wie ein dreimonatiger Yoga-Kurs. Man könnte es Digital Detox nennen.