Weltkunstschau 2022

Ein Jahr vor der Documenta: Alles anders oder alles wie immer?

Fassade des "Ruruhaus" in Kassel
Foto: dpa

Fassade des "Ruruhaus" in Kassel

Im kommenden Jahr startet die 15. Documenta. Die Kunstausstellung präsentiert sich anders als die stark kritisierte Vorgängerschau. Doch was genau Kunstbesucher 2022 in Kassel erwartet, bleibt nebulös

Verschränkte Hände, Seile und viel Farbe - seit Mitte Dezember ist die "Documenta Fifteen" im Kasseler Stadtbild deutlich sichtbar. An der Fassade eines früheren Kaufhauses geben Logos und Schriftzüge einen Vorgeschmack auf die 15. Ausgabe der weltweit bedeutendsten Ausstellung für moderne Kunst. Das sogenannte "Ruruhaus" ist ein Standort der Schau im Jahr 2022 und soll bereits vorher Einblicke ermöglichen - wie zum Beispiel auf das visuelle Erscheinungsbild.

Dabei könnte der Kontrast der farbenfrohen und freundlichen Logos der D15 im Vergleich zur vergangenen Schau nicht größer sein: Die Documenta 14 präsentierte sich nüchtern in Schwarz-Weiß. Der große Unterschied passt zum angekündigten Neustart der Institution. Denn mit ihrer Schau im Jahr 2017 war sie künstlerisch und wirtschaftlich in die Krise geraten. Die Documenta 14 hinterließ ein Defizit von 7,6 Millionen Euro, das Konzept wurde als zu didaktisch und schwer verständlich kritisiert.

Es folgte der Umbau: Geschäftsführerin Annette Kulenkampff ging, Sabine Schormann wurde neue Generaldirektorin. Dass die künstlerische Leitung jeder Schau wechselt, ist Documenta-Tradition. Dass mit der indonesischen Gruppe Ruangrupa nun ein Künstlerkollektiv diese Aufgabe übernahm, sorgte aber für Aufsehen.

"Einiges an Umdenken abverlangt"

Trotzdem stand 2020 auch die Documenta im Schatten von Corona. Die Pandemie behinderte die Organisation der Schau gerade wegen ihrer internationalen Ausrichtung. "Das Jahr 2020 mit seinen erschwerten Bedingungen hat auch uns einiges an Umdenken abverlangt", sagt Generaldirektorin Schormann. Man sei inzwischen zu Profis in weltweiten digitalen Meetings geworden. Trotz der Bedingungen sei die Planung der Documenta 15 große Schritte vorangekommen: Das Erscheinungsbild stehe, Kulturkollektive und Künstler seien an Bord, ein Großteil der Ausstellungsstandorte gesichert.

Bekannt sind bisher das Museum Fridericianum, das "Ruruhaus" und die Documenta-Halle. Von dort werde sich die Ausstellung unter anderem entlang des Flusses Fulda und in den von Industrie geprägten Osten der Stadt bewegen.

Spekulationen über eine Verschiebung der Schau hat Schormann eine Absage erteilt. Daher laufen 2021 die Vorbereitungen ungebremst weiter: "Wenn Corona uns keinen Strich durch die Rechnung macht, werden wir die Riege der Künstler*innen komplett machen, die künstlerischen Projekte zur Umsetzung und die Website an den Start bringen, erste Publikationen entwickeln und mit dem Gruppen- und dann auch dem Individualvorverkauf beginnen", sagt die Generaldirektorin. Zudem werde sich das "Ruruhaus" weiter entwickeln, andere Veranstaltungen seien in Planung.

Ein Geheimnis bleibt die Summe, die für die "Documenta Fifteen" zur Verfügung steht. Vor der vergangenen, defizitären Schau war das Budget auf 34 Millionen Euro beziffert worden. Der Aufsichtsratsvorsitzende, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), versprach danach eine "auskömmliche Finanzierung". Schormann selbst antwortet auf die Frage nach dem Geld lediglich, dass es weiterhin beim avisierten Budget bleibe.

Zentrale Fragen offen

Jörg Sperling vom Documenta-Forum sieht keine komplette Abkehr von der Vergangenheit: "Zunächst scheint alles wie ein Jahr vor jeder Documenta: Nichts ist vom künstlerischen Konzept erkennbar, keine Künstler*innen sind bekannt, kaum ein Ausstellungsort wirklich konkret benannt", sagt der Vorsitzende des Vereins, den Documenta-Gründer Arnold Bode ins Leben rief und der die Ausstellungen kritisch begleitet.

Sperling sieht dennoch Unterschiede zu vergangenen Vorbereitungsjahren. Das Grundkonzept von Ruangrupa basiere insbesondere auf Kommunikation, Diskurs und nachhaltigen Perspektiven für Kunst und Kultur. "Die Corona-Bedingungen erschweren die Realisierung dieses Konzeptes." Es werde zwar oft von kreativen Lösungen gesprochen, aber eine Ausstellungsplanung sei nicht erkennbar. Es sei immer noch die Frage offen, welche künstlerischen Produktionen der weltweiten Kunstszene das Grundkonzept erlebbar machten.

Dennoch freue er sich auf die Konkretisierung der "Lumbung"-Aktivitäten. Das indonesische Wort bezeichnet eine Reisscheune, in der überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. Diese Idee will Ruangrupa zur Grundlage der Documenta machen. Sperling hofft, dass die nächste Ausgabe am Ende aber auch eine klassische Ausstellung wird: "Ich wünsche mir, dass die 'Documenta Fifteen' keine Digitalschwemme wird, sondern die originale Begegnung mit Kunst aus aller Welt zulässt."