Auktionshaus Artcurial in Paris

Der Senkrechtstarter

Obwohl Artcurial erst vor 16 Jahren gegründet wurde, ist es heute bereits das drittgrößte Auktionshaus Frankreichs. Wie konnte dieser rasche Aufstieg gelingen? Ein Ortsbesuch in Paris

Die Hausnummer 7 am Rond-Point des Champs-Élysées Marcel-Dassault im achten Bezirk von Paris, nur etwa einen Kilometer vom Arc de Triumph entfernt, gehört zu den nobelsten Adressen der französischen Hauptstadt. In der vom Kreisverkehr abgehenden Avenue Montaigne flanieren Geschäftsmänner in dunklen Anzügen zwischen Luxusboutiquen von Gucci, Chanel und Dior, die gegenüberliegende Avenue Matignon zählt zu den angesehensten Standorten für Kunstgalerien. Ein wenig südlich, Richtung Seine, erhebt sich das gewölbte Glasdach des Grand Palais in den Himmel.

Hier im Hôtel Marcel Dassault, einem imposanten historistischen Haus aus dem 19. Jahrhundert, residiert seit 2002 das Auktionshaus Artcurial: ein eleganter Sandsteinbau, der hinter hohen schwarzen Eisentoren mit Goldornamenten und einem kleinen Ehrenhof vornehm ein Stück von der Straße abgerückt ist, als wolle er dem hektischen Stadtgeschehen ein wenig entkommen.

Wer für ein neu gegründetes Unternehmen einen solch prächtigen Firmensitz wählt, muss schon sehr überzeugt von seiner Sache sein. Er muss über jede Menge Kapital verfügen. Und beste Kontakte zu potenziellen Kunden haben. All das traf auf Nicolas Orlowski ohne Zweifel zu.

Es ist sicher nicht untertrieben zu sagen, dass der erfolgreiche Geschäftsmann Artcurial 2001 als französische Antwort auf Christie's und Sotheby's ins Leben rief. Und damit schnell und geschickt auf einen historischen Umbruch reagierte: die Öffnung des Pariser Marktplatzes für internationale Häuser.

Noch bis Anfang des 21. Jahrhunderts lag das französische Versteigerungswesen exklusiv in der Hand sogenannter commissaires-priseurs, staatlich vereidigter Amtsträger. König Heinrich II. hatte 1556 ein entsprechendes Gesetz erlassen um so unversteuerte Straßenverkäufe einzudämmen - und dabei blieb es dann für mehr als 450 Jahre. In der Region Paris waren die commissaires-priseurs seit 1852 zudem verpflichtet, ihre Auktionen ausschließlich im verbandseigenen Hôtel Drouot abzuhalten.

Öffnung des französischen Marktes

Infolge der zunehmenden Globalisierung des Kunsthandels verlor der Marktplatz Paris durch diesen Protektionismus im 20. Jahrhundert jedoch allmählich an Bedeutung. Internationale Häuser wie Christie's und Sotheb's verhalfen anderen Standorten wie London und New York zum Aufschwung - nicht zuletzt, indem sie französische Werke einfach dort verkauften. Doch angesichts der damit verbundenen Umstände war dies keine zufriedenstellende Dauerlösung. Der Druck auf den französischen Staat nahm zu: 1992 brachte Sotheby's vor der Europäischen Kommission eine Klage gegen die Monopolstellung der commissaire-priseurs ein und verlangte eine Öffnung des französischen Marktes. Das Auktionshaus bekam Recht, seit 2001 dürfen Christie's und Sotheby's in Paris Auktionen durchführen.

Nicolas Orlowski erkannte wohl so rasch wie kein anderer das sich aus dieser Entwicklung ergebende große Potenzial für den französischen Kunstmarkt. Durch strategisch kluge Übernahmen und Partnerschaften gelang es ihm, in atemberaubenden Tempo ein neues Auktionshaus zu erschaffen: Von der Familie L'Oreal, Eigentümerin des gleichnamigen Kosmetikkonzerns, erwarb er die Marke Artcurial, eine 1975 gegründete und renommierte Pariser Galerie mit dazugehöriger Kunstbuchhandlung.

Von der ebenfalls milliardenschweren Familie Dassault, die unter anderem im Rüstungs- und Luftfahrtgeschäft aktiv ist, mietete er das repräsentative Hôtel Marcel Dassault an, um dort den neuen Firmensitz zu eröffnen. Zusätzlich gewann er die Familie als Investor, ebenso den 2014 verstorbenen monegassischen Immobilien-Giganten Michel Pastor. Um sich die nötige Expertise und wichtige Kontakte in die Kunstwelt zu sichern, warb er schließlich noch einige der renommiertesten Pariser Auktionatoren an: Francis Briest, Hervé Poulain, Rémy Le Fur und François Tajan.

Heute, gerade einmal 16 Jahre nach Gründung, ist Artcurial mit rund 160 Mitarbeitern das mit Abstand größte französischstämmige Auktionshaus. 2016 machte das Unternehmen 210,1 Millionen Euro Umsatz, ganze zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Zum Vergleich: Christie's meldete in Frankreich einen Umsatz von 244,6 Millionen Euro, bei Sotheby's waren es 220 Millionen. Zusammen machen die drei Häuser damit mehr als zwei Drittel des Pariser Auktionsmarktes aus.

Artcurials steiler Wachstumskurs ist neben geschickten strategischen Partnerschaften nicht zuletzt einer ausgeprägten Innovationskultur zu verdanken. Schon bei der Nutzung der Geschäftsräume macht man einiges anders als andere Auktionshäuser und setzt eher auf Zugänglichkeit als auf betonten Elitarismus. Um möglichst viele potenzielle Kunden auf das Programm aufmerksam zu machen, befinden sich im Erdgeschoss des Hôtel Marcel Dassault ein schickes Restaurant sowie eine 200 Quadratmeter große Kunstbuchhandlung, die jedermann offen stehen.

"Das ist schon ein sehr bewusstes Statement", erklärt Emmanuel Berard, Leiter der Designabteilung. "Rein wirtschaftlich betrachtet scheint es auf den ersten Blick ja schon verrückt, ausgerechnet hier, am teuersten Platz von Paris, einen riesigen Buchladen zu betreiben, mit dem man nicht gerade besonders viel verdient. Führen Sie sich nur einmal den Quadratmeterpreis dieser Gegend vor Augen und überlegen Sie, wie viele Designer hier liebend gerne ihre Schuhe und Taschen verkaufen würden."

Gerade deshalb sei man im Haus jedoch sehr stolz auf den Laden: "Er ist ein wichtiger Teil unserer Geschichte und unseres Images - und er bringt zum Ausdruck, dass wir etwas zum kulturellen Leben dieser Stadt beisteuern wollen."

Nicht zuletzt stellt das Geschäft auch eine geschickte Akquisestrategie dar: Viele Menschen kommen über das Restaurant und die Buchhandlung das erste Mal mit Artcurial in Kontakt und werden so auf das Angebot des Auktionshauses aufmerksam.

Fokus auf durchdachte Auktionskonzepte

Auch bei der Gestaltung der Versteigerungen zeigen die Pariser Pioniergeist. Herausragende Objekte zu bekommen, gehört heute zu den größten Herausforderungen für Auktionshäuser. Weil Artcurial die Einlieferer im Gegensatz zu Christie's oder Sotheby's nicht mit einem weltweiten Filialnetzwerk und einer riesigen Marketingmaschinerie locken kann, setzt man auf extrem spitze Auktionskonzepte, um so viel Aufmerksamkeit wie möglich für die Objekte zu generieren.

"Wir planen sehr langfristig", erklärt Fabien Naudan, stellvertretender Vorsitzender von Artcurial. "Manchmal warten wir eineinhalb Jahre, bis wir Stücke in einer Versteigerung platzieren. Uns ist wichtig, dass wir bei unseren Einlieferern nicht den Eindruck erzeugen, dass wir einfach einfach nur die Seiten unseres nächsten Kataloges füllen müssen. Stattdessen wollen wir immer mit einem genau passenden Projekt auf sie zukommen - so können wir nachhaltige Beziehungen aufbauen."

Zu den Erfindungen des Hauses gehört unter anderem eine Auktion, die bewusst auf lediglich zwanzig Lose beschränkt ist. "Wir sind sehr darauf bedacht, dass uns nicht langweilig wird", scherzt Emmanuel Berard, der Initiator der Idee. "Das ist eine wirklich besondere Herausforderung - als würde man eine Museumsausstellung kuratieren. Jedes einzelne Stück muss von großer Bedeutung sein."

Am vergangenen Dienstag versteigerte Artcurial zwanzig Werke der französischen Designerin Charlotte Perriand, darunter ihren ikonischen "Air France Tisch" aus dem Jahr 1953. "Dass wir dieses Stück bekommen konnten, ist eine echte Sensation", sagt Berard mit leuchtenden Augen. Insgesamt wurden nur zwölf Exemplare des Tisches produziert, inklusive der ersten beiden Prototypen. Eine Ausführung schenkte sie dem japanischen Architekten Junzô Sakakura. Über einen Kontakt ist es uns gelungen, seine Familie zum Verkauf zu bewegen. Das ist ein wahres Wunder. Als der Katalog herauskam, habe ich viele Nachrichten von Kunsthändlern und Galeristen bekommen, die gar nicht glauben wollten, dass dieses Werk versteigert werden soll."

Foto: CC

Charlotte Perriand in Japan

Nicht minder innovationsfreudig als bei den Auktionskonzepten zeigt sich Artcurial bei der Gestaltung der Kataloge. Zu den Erfindungen des Hauses gehört unter anderem ein Losverzeichnis im Zeitungsformat. "Wir hatten das Problem, dass klassische Publikationen für einige Auktionen im Designbereich zu teuer sind", erklärt Emmanuel Berard. "Gleichzeitig möchten die Interessenten aber einen gedruckten Überblick über alle Objekte in der Hand haben. Also haben wir es mit dieser Variante probiert. So können wir alle Stücke kompakt abbilden - haben aber nur ein Drittel der Druckkosten."

Die gebundenen Kataloge des Hauses sind oft so hochwertig gestaltet, dass sie einer Museumsausstellung würdig wären. Im Katalog zur diesjährigen Charlotte-Periand-Auktion werden selbst einfache Prospekte mit einem Schätzwert von 2.000 Euro mit einer ausführlichen vierseitigen Dokumentation bedacht.

Auch bei der fotografischen Inszenierung der Objekte betreibe Artcurial oft großen Aufwand, schildert Fabien Naudan: "2016 haben wir Möbel eines amerikanischen Sammlers versteigert. Es waren fantastische Möbel, sie kamen allerdings aus verschiedensten Lagerräumen und hingen überhaupt nicht zusammen. Wir standen daher vor der Frage, wie wir sie am besten abbilden. Also haben wir am Stadtrand von Paris ein kalifornisches Haus nachgebaut und die Stücke dort gemeinsam inszeniert." Er schmunzelt. "Wir waren so gut, dass uns sogar einige vermeintliche Freunde des Sammlers beteuerten, dass sie sich genau an das Haus erinnern würden."

Ein Unternehmen mit Zukunft

Aus dem französischen Auktionswesen ist Artcurial nach nur 16 Jahren nicht mehr wegzudenken. Gut möglich, dass das Haus in den kommenden Jahren die Umsätze der Pariser Filialen von Christie's und Sotheby's übertreffen könnte.

Mit der Expansion in andere Länder bleibt man bisher dennoch eher vorsichtig. Zwar verfügt Artcurial über mehrere Büros in Europa, Israel und China und führt regelmäßig Auktionen in Monaco durch. Die Gründung einer vollwertigen Auslandsfiliale ist jedoch noch nicht geplant. "Natürlich wäre es spannend, einen Ableger in New York zu gründen", so Auktionator François Tajan. "Aber das ist ein kostspieliger Schritt, man muss aufpassen, dass man nicht untergeht. In New York kann man nicht klein anfangen, man muss direkt groß starten."

Statt sich einem solch finanziell riskanten Wettbewerbsdruck auszusetzen, tastet sich Artcurial daher vorerst lieber geschickt in Märkte vor, die von der Konkurrenz noch nicht erschlossen wurden. "Wir organisieren seit einer Weile auch Auktionen in Marrakesch", erzählt François Tajan. "Vor zwei Jahren haben wir dort islamische Objekte aus den Sammlungen von Pierre Bergé und Yves Saint Laurent versteigert." Als Tor zu Afrika sei Marokko von großer strategischer Bedeutung: "Marrakesch ist nur drei Flugstunden von Paris entfernt und hat historisch eine sehr starke Verbindung zu Europa. Weil das Land wunderschön und verhältnismäßig liberal ist kommen außerdem sehr viele Bürger aus den Emiraten gerne dorthin."

Am allermeisten setzt man bei Artcurial jedoch auf ein weiteres Wachstum des Heimatstandorts Paris - nicht nur aufgrund des Brexits und der damit voraussichtlich verbundenen Schwächung Londons. "Schauen Sie sich die Stadt nur an", gerät Fabien Naudan ins Schwärmen. "Die Architektur, das kulturelle Angebot, die Geschichte, die Mode - diese Atmosphäre finden sie nirgendwo sonst auf der Welt. Internationale Sammler kommen gerne hierhin - das ist eine große Stärke. Wir glauben darum fest daran, dass sich der französische Markt auch in Zukunft sehr positiv weiterentwickeln wird."