Deine Tage sind gezählt

 On Kawara malte tausendfach das je aktuelle Datum.
Wo sind diese Bilder geblieben? Candida Höfer fotogra-­fierte die „Date Paintings“ in Sammlerwohnungen.

 

Nein, Candida Höfer ist nicht Tine Wittler, und dieser schöne Bildband mit 138 Abbildungen soll kein Einrichtungsratgeber sein. Trotzdem ließen wir uns gern anregen, nach dem Motto „1000 Tipps zur Präsentation Ihres ‚Date Paintings‘“. Doch ach, wer kann sich schon ein Original von On Kawara leisten? Wir Kunstdruckkäufer lugen daher neidvoll in die Räume von Privatsammlern aus Island, Schweden, Österreich, Deutschland, Belgien, der Schweiz, Frankreich, den USA und Japan. Die deutsche Fotografin Candida Höfer hat dort zwischen Mai 2004 und August 2007 etliche „Date Paintings“ abgelichtet. Das sind jene schlichten, einfarbigen Formate, auf deren Grund in weißen Lettern das Datum ihres Entstehungstages prangt. Das erste Bild seiner berühmten Endlosserie malte On Kawara am 4. Januar 1966.
Mit ihren Raumfotos liefert Höfer zugleich Porträts der faktisch unsichtbaren, im Interieur dennoch indirekt anwesenden Besitzer. Die Möblierung spricht eine deutliche Sprache, auch beweist die Becher-Schülerin einmal mehr den treffsicheren Blick für Spezifika der Orte (und Benutzer), die sie in den gefühlt richtigen Ausschnitten zeigt und damit auf ihre persönliche Sicht hin zuspitzt.
Höfer weiß, dass ein „Raumganzes“ nur mit fototechnischen Verzerrungen zu haben wäre. Andererseits fehlt ihr die Chuzpe der Amerikanerin Louise Lawler, die Originale verzerrt, verdeckt oder optisch entzweischneidet. Appropriation-Art ist Höfers Sache ohnehin nicht; hier handelt es sich um eine Tandemproduktion mit On Kawara, der die Kollegin ausdrücklich dazu eingeladen hat.
Wie in den Raum gefräste Gucklöcher in eine andere Dimension wirken die „Date Paintings“ in diesen Environments mitunter. Konträre Konzepte von Zeitlichkeit stehen sich gegenüber: hier die schwärzlichen, roten oder blauen Datenträger, die wie Gedenkplatten je einen gelebten Tag im Leben des Künstlers versiegeln, dort die eben noch und gleich schon wieder benutzten, mehr oder weniger funktional eingerichteten Zimmer. Wenige Interieurs tendieren zum Sammlermuseum, viele verharren im Niemandsland zwischen Wohnen und Ausstellen. Kernfrage: Lebst du noch, oder kuratierst du schon?
Höfers millimetergenau komponierte, wenn auch nachschöpferische Bilder geben den eigenen Kunstanspruch natürlich nicht preis. Die Reibungsenergie zwischen Real- und Denkräumen, zwischen Fotomedium und konzeptioneller Malerei hätte ein kluger Text noch einmal umleiten, verstärken, zum Leuchten bringen können. Ein solcher Kommentar fehlt – das einzige Manko eines inspirierenden Buches. Jens Hinrichsen

Candida Höfer: „On Kawara. Date Paintings“.
Verlag der Buchhandlung Walther König.
256 Seiten. 68 Euro.