Das Dandy Diner ist ein Fall für die Polizei. Das bekommt zumindest mitgeteilt, wer in das Suchfeld bei Google nach dem veganen Imbiss der beiden Modeblogger Jakob Haupt und David Roth sucht. Dandy Diner wie Dandy Diary, das Männermodeblog. Bei der Eröffnung im April wollte halb Hip-Berlin dabei sein, und da in der Hauptstadt ein paar mehr Leute hip sind, musste die Party in Neukölln frühzeitig von der Polizei abgebrochen werden.
Inzwischen ist es um das Diner wieder ruhiger geworden. Besonders um das Essen. Das Diner selbst, eingerichtet wie ein Fast-Food-Laden, durch den kurz vor der Eröffnung schnell Hello Kitty wirbelte und sich eine zwinkernde Schweinsmaske aufsetze, ist inzwischen so etwas wie die Schaltzentrale der beiden Modeblogger. Sie führen dort Interviews, etwa mit dem Selfie-Man Friedrich Liechtenstein, der einen Burger sprechen lässt. Oder geben selbst Interviews, YouTubern zum Beispiel, mit denen sie dann auf den Tischen im Diner rumlümmeln und ihre veganen Burger gegen die einer großen Fast-Food-Kette antreten lassen. Das Essen selbst ist da nur noch Nebensache.
Zumindest fehlt den Burgern der Charme, den Wechseljuicer und Flexitarier brauchen, die sich von Märkten, Detox-Smoothies, von Chia Bowls, hausgemachtem Granola und Quinoasalat ernähren. Feel Good Food, wie heute Untertitel von Pop-Up-Läden in den Fußgängerzonen der Metropolen heißen, sieht anders aus. Food-Aktivisten, Slow-Food-Aposteln und Orthorektikern treibt es beim Anblick des veganen Cheeseburgers die Tränen in die Augen. Fotogen geht auch anders.
Immerhin schafft es die Verpackung der Burger dank des putzigen zwinkernden Schweinchens auf Instagram.
Essen kann sich auf Instagram nämlich nur sehen lassen, wenn es aussieht, als hätten mindestens drei Food Stylisten vier Stunden beraten und drei Stunden Hand anlegen wollen für dieses eine Bild. Nur wurden sie dann doch nicht gebraucht, weil im richtigen Leben mit der richtigen Inneneinrichtung das Essen von selbst irgendwie richtig für die vermeintliche Momentaufnahme auf Instagram liegt. Sascha Lobo, der Internet-Versteher, hat kürzlich aufgeschrieben, warum Essensfotografie solch ein beliebtes Thema in den sozialen Medien ist. "Essen ist das perfekte, nonverbale (und damit internationale verständliche) Symbol zur Inszenierung der eigenen Persönlichkeit." Zeig mir, was Du isst, und ich sage Dir, wer Du bist. Die ganzen Nahrungsaufnahmen im Netz seien Symptom eines "Ess-Eskapismus", einer Flucht ins Essen vor der anstrengenden, komplexen, aggressiven Welt.
Und die Bilder auf Instagram von erfolgreichen Accounts wie @_foodstories_, @whatforbreakfast und @symmetrybreakfast mit 382.000 bis 770.000 Abonnenten sind alles andere als anstrengend und aggressiv. Anstrengend sind da höchstens die Zubereitung des Essens und die Komposition des Bildes. Jede der Momentaufnahmen säuselt mit sanfter Stimme: "Setz Dich zu uns! Lass es Dir gut gehen! Mach es Dir gemütlich!" Das Erfolgsrezept der Bilder: Man nehme einen dunklen Holzstich, stelle darauf eine Blumenvase, verstreue ein paar Blüten und Blätter, stelle zwei bis vier Teller und Tassen auf den Tisch, lege Croissants oder Waffeln auf die Teller, setze zwei bis vier Freunde an den Tisch und zeige ihre Hände, wie sie Butter und Marmelade auf die Croissants schmieren oder Ahornsirup über die Waffeln gießen. Wenn die Likes durch die Decke gehen sollen, setze man einen niedlichen Hund neben den Tisch oder lege eine flauschige Katze ins Bett.
Hashtags wie einfach nur #foodporn und #foodie waren einmal. Das klingt alles zu lüstern, eilig, kurzlebig, ein wenig zu obszön und vulgär. Verteidiger des guten Geschmacks, Stils und der gesunden Ernährung, die sich mit ihrer Ästhetik irgendwo zwischen dem Katalog eines schwedischen Möbelherstellers, dem amerikanischen "Kinfolk" Magazin und der Zeitschrift "Landlust" bewegen, machen mit jedem ihrer Hashtags deutlich, welch Balsam für die Seele, die Freundschaft und die Zweisamkeit die Flucht ins Essen ist. Hashtags wie #morningslikethese, #gatheringslikethese, #darlingweekend und #thatsdarling lassen die Schmetterlinge in den Bäuchen schneller flattern. Es geht nicht mehr nur um Essen, sondern um Stimmungen und Lebensqualität, um ein Lebensgefühl, das aus jeder Pore des gesunden Körpers Empathie kreischt, um das Bedürfnis, Teil von etwas zu sein und sei es nur, das 24.000 Herzchen unter ein Bild von einem hübsch gedeckten Frühstückstisch zu setzen. Das alles ist nicht neu. Normcore war 2014. Ein Hipster-Trend, der wegen seiner, wie zu lesen war, Redlichkeit, Manierlichkeit und unerträglichen Selbstgefälligkeit als Aufstand der Angepassten in den Feuilletons verlacht wurde. Inzwischen ist das alles so sehr im Mainstream angekommen, das gut gehende Instagram-Accounts zu besseren Litfaßsäulen werden und plötzlich beispielsweise Starbucks, Drucker-, Uhren- und Haushaltsgerätehersteller ihre Produkte im Bild haben wollen. Kaum ein Beitrag kommt mehr ohne ein #sponsored oder #ad am Ende aus.
In all dem Trubel um die Essensfotografie hat Martin Parr vor ein paar Monaten ein Buch mit dem Titel "Real Food" veröffentlicht. Richtiges Essen, wie jemand mit leerem Magen glücklich ausrufen würde. Für Martin Parr war #foodporn schon immer das neue Schwarz. Er fotografiert Essen seit über 20 Jahren in verschiedenen Ländern, wie es aussieht, wenn es auf den Tisch kommt, beim Metzger an der Wand hängt, im Supermarkt in der Auslage liegt oder beim Bäcker von Bienen angeflogen wird.
Das Obst ist nicht frisch, es hat Druckstellen, die Wurst ist nicht vom Bio-Bauern, sondern ist in Plastik gewickelt und als "Super-Preis" ausgezeichnet, die Fritten sind zu trocken, die Würstchen angekokelt und die Scheibe Toast liegt ohne Belag auf dem Teller. Das Essen sieht ein wenig aus, wie das von Frührentner Jürgen E., dessen Fotos vom Ekel-Essen im Pflegeheim letztes Jahr im Netz kursierten und eine Diskussion um den Umgang der Gesellschaft mit den Alten auslöste.
Martin Parr hält in seinen Bildern all die Essenssünden fest, er fotografiert all den Zucker, das Fett und Gluten, er dokumentiert die Nahrungsaufnahme von Menschen, die auf der Straße ein Würstchen Essen, an einem Maiskolben nagen oder einen knusprigen Hähnchenschenkel auseinanderrupfen. Dinge die, wenn man den sozialen Medien Glauben schenkt, heute nicht mehr konsumiert, ja, vermutlich gar nicht mehr verkauft werden.
Auf Instagram gibt es bekanntlich Parallelwelten zu fast allem und besonders zum Mainstream. Die Kunst und die Fotografie sind zwei solcher Parallelwelten. In einer davon dokumentiert der italienische Fotograf Piero Percoco sein Essen und das möglichst unappetitlich. Nudeln, Nudeln, Nudeln, mal mit Fleisch, mal ohne Fleisch, aber immer mit ordentlich viel Sauce. Das Essen selbst ist möglichst ungesund, zumindest sieht es fotografiert so aus. @melted_butterr heißt das Projekt auf Instagram, im Profil weist der Fotograf sich als Food Maniac, also als verrückt nach Essen aus. Er fotografiert alles, was auf den Tisch kommt, und drückt noch einmal den Auslöser, bevor die Teller abgeräumt werden. Seine Großmutter kratzt am Ende jeder gemeinsamen Mahlzeit die Essensreste für die Hunde zusammen. Überhaupt läuft beim Anblick dieser Fotos vermutlich nur Hunden das Wasser im Mund zusammen.
Für Instagram-Verhältnisse läuft das Projekt nicht wirklich gut, denn der Account hat, auch wenn erst Ende Februar gestartet, überschaubare 222 Follower. Fehlt noch das "K" hinter den drei Zahlen. Wenn die Herren Roth und Haupt von Dandy Diary, die bekanntlich ein feines Näschen für Trends haben, mit ihrem Diner und dem wenig Instagram tauglichen Essen bald im Trend liegen, dann dürfen wir uns auf mehr Bilder von richtigem Essen in den sozialen Medien freuen. Auf den Laufstegen sind sie schon, die Models mit Pusteln, eitrigen Wunden, Mitessern, Pickeln und Akne. Kein Grund sich hinter Make-up zu verstecken, auch der Makel ist schön. Vielleicht darf auch bald unser Essen wieder aussehen, als würden wir es einfach essen und nicht nur posten wollen.