Schallplatten auf Röntgenbildern

Geisterhafte Musik

In der Sowjetunion der 50er widersetzten sich Musikfans dem Verbot westlicher Platten, indem sie Raubpressungen auf Röntgenbildern anfertigten. Eine Berliner Ausstellung widmet sich jetzt diesem Stück Popgeschichte

Vor einigen Jahren lief Stephen Coates, Kopf der britischen Band The Real Tuesday Weld, während eines Tour-Aufenthalts in St. Petersburg über einen Flohmarkt, als ihm ein seltsamer Gegenstand ins Auge fiel. "Ich dachte: 'Ist das eine Schallplatte? Oder ist es ein Röntgenbild?' Ich hob es auf, und es schien beides zu sein", berichtete er später. "Der Typ, an dessen Stand es lag, war etwas abweisend - ich glaube, er wollte, dass ich etwas anderes kaufe. Aber ich nahm es mit zurück nach London und war fasziniert davon. Also begann ich zu graben, und das hat mich auf eine sehr seltsame Reise geführt."

Der Musiker stieß auf ein Stück geheimer Popgeschichte: In der Sowjetunion der 1950er-Jahre waren westliche Platten verboten, also pressten Musikfans heimlich Bootlegs auf ausrangierten Röntgenbildern. Neben Jazz, Rock 'n' Roll und russischen Emigrantenliedern haben diese X-Ray-Rekords also auch Bilder gespeichert: Wirbel, Schädel, Gelenke. 

Stephen Coates hat gemeinsam mit einigen Partnern eine Wanderausstellung zu diesem Underground-Phänomen zusammengestellt, die auch schon im Garage-Museum Moskau zu sehen war und nun nach Berlin kommt. In der Villa Heike – zu DDR-Zeiten Teil des Sperrgebiets der Staatssicherheit – im Stadtteil Lichtenberg lässt sich die Kraft von Musik anhand von Sound, Filmen und Installationen erleben: Sie war immer da und wird es immer sein. Halleluja!