Ayad Akhtars "Homeland Elegien"

Ist das Leben noch schön?

Der Sonnenkönig als Fetisch: Im Roman "Homeland Elegien" taucht ein herzkranker Donald Trump auf, der den Vater des Erzählers tief beeindruckt
Foto: dpa

Der Sonnenkönig als Fetisch: Im Roman "Homeland Elegien" taucht ein herzkranker Donald Trump auf, der den Vater des Erzählers tief beeindruckt

Ein Kardiologe aus Pakistan als Trump-Fan: Ayad Akhtar hat mit "Homeland Elegien" einen glänzenden Familienroman über Muslime in den USA und die Misere einer Nation geschrieben

Es gibt gerade kein Entkommen vor dem amerikanischen Sonnen(bank)könig, nicht einmal jenseits der Nachrichtenkanäle. Was hilft die Flucht vor dem real existierenden Trumpismus in die Romanlektüre, wenn doch wieder der Springteufel aus den Zeilen ploppt: Trumps früher Auftritt in den "Homeland Elegien" von Ayad Akhtar, das jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist, holt einen in die politische Realität zurück. Und das ist erstens eine gute Nachricht (tolles Buch), weil zweitens der tollwütige Präsident nicht mehr aus der Geschichte zu radieren ist. In seinem dritten Roman behandelt der US-Schriftsteller Akhtar historische Kräfte und vor allem die Individuen, an denen diese Kräfte zerren.

Der Immobilien-Tycoon und Noch-lange-nicht-Präsident ist krank, neben vielen anderen Problemen, die den notorisch verschuldeten Donald Trump im Jahr 1993 plagen. Unweit des Golfresorts Mar-a-Lago, das er sich später einverleiben wird, kollabiert Trump in Palm Beach mit flatterndem Herzen. Die von EKG-Mustern genährte Befürchtung, der Geschäftsmann könnte am tückischen Brugada-Syndrom leiden – "Die Kurve hatte dann ungefähr die Form einer Haifischflosse" –, bringt den Vater des Erzählers ins Spiel: Der Kardiologe Sikander Akhtar ist auf die seltene Erkrankung spezialisiert und genießt so lange Trumps Aufmerksamkeit, bis sich die Brugada-Befürchtung in Wohlgefallen auflöst. Danach hört der Doktor natürlich nichts mehr von Trump. Entwarnung, liebe Leserinnen und Leser!

Was bleibt, ist Sikanders, nun ja, Trump-Sucht, die sogar dazu führt, dass er dem "Freund" bei der Präsidentschaftswahl 2016 seine Stimme gibt. Ausgerechnet der pakistanische Einwanderer, der es als Muslim und in den USA schon vor 9/11 ziemlich schwer hatte. Warum dieses Wahlkreuz, fragt sich sein Sohn und gibt sich die verblüffende Antwort selbst: "Ich glaube, er wollte wissen, wo die Grenze war. In Amerika konnte man alles haben, oder? Sogar die Präsidentschaft? Wenn ein Idiot wie Trump es schaffen konnte, müsste man selbst es doch auch schaffen können."

Die Zeit verwandelt Menschen

Der leibhaftige Trump erweist sich also als Komparse, während das Geschick des Vaters den breiten Rahmen des Romans abgibt. "Homeland Elegien" erzählt von einer Einwandererfamilie in Amerika, von Integration und Fremdsein, von der Sehnsucht anzukommen und den politischen Umbrüchen, die das Ziel sabotieren. Unter Umständen noch fataler: Die Zeit verwandelt Menschen.

"Mr. Trumps Arzt", wie Akhtar Senior noch einige Zeit genannt wird, versucht sich als Super-Amerikaner und Kapitalist, setzt ein Heidengeld für Immobilien in den Sand, zeugt mit einer Geliebten in New York eine Tochter, die sich später in einem Stripclub verdingt, während sich seine Frau in Wisconsin in Büchern vergräbt und einem anderen Pakistani nachtrauert, den sie lieber geheiratet hätte. Lauter verpasste Chancen: Akhtar zeichnet eine Elterngeneration, deren Hoffnungen sich schmerzlich wenig erfüllt haben.

Am Ende ist auch Sikanders Neue-Welt-Euphorie zerstoben, nachdem der Arzt ins Mahlwerk des US-Rechtssystems geraten ist. Während des Prozesses gegen den Kardiologen kann Ayad, der Sohn, ihn nur mit Mühe davon abhalten, sein letztes Geld im Casino zu verzocken. Während der echte Sikander in Wisconsin starb, darf der Vater im Roman immerhin desillusioniert, aber hoffnungsvoll nach Pakistan zurückkehren.

Tolstoi im gierigen New York

Sein Buch sei "nicht autobiografisch", stellt der vor allem für seine Theaterstücke gefeierte Ayad Akhtar in einem Prolog klar: "Ich gehöre zu den Schriftstellern, die Tatsachen verdrehen müssen, um sie desto deutlicher sehen zu können, und bin dieser Neigung auch hier gefolgt. Dies ist ein Roman."

Die Verschiebungen zwischen dem Faktischen und dem Fiktionalen sind allerdings bemerkenswert. Warum zum Beispiel der kleine Altersunterschied zwischen Autor und Erzähler, die beide Ayad Akhtar heißen (der eine 1970, der andere 1972 geboren)? Indem er den Leser oft im Unklaren darüber lässt, was erfunden ist und was nicht, erzeugt Akhtar eine vibrierende Unschärfe, einen Schwindeleffekt. Die erwähnte Trump-Episode ist zumindest gut erfunden. Vielleicht ist sie auch wahr. Doch welche Rolle spielt Faktizität überhaupt in einer Ära der politischen Falschspieler?

In New York lässt Akhtar sein Alter Ego einen mit Schrottpapieren reich gewordenen pakistanischen Finanzmagnaten kennenlernen: Riaz Rind verführt Ayad in eine Welt der Gier und des falschen Scheins. Auf den Spuren der väterlichen Hybris wankend, fällt es Ayad zeitweilig schwer, zwischen Wunsch, Wahn und Wirklichkeit zu unterscheiden. "Riaz oder: Der Schuldenhändler" ist das längste Kapitel des Buchs, und es ist zentral in der Romanmitte platziert. Dieses und zwei weitere Kapitel sind Variationen über Tolstoi-Novellen, wie der Autor in einem kurzen Interview am Ende des Buchs verrät, "um eine Art zeitgenössische Unmittelbarkeit in eine klassische Form [zu] bringen".

Das Tolle an Akhtars Kunstfertigkeit ist, dass man sie nicht merkt. Erst in der Nachschau wird einem der Formenreichtum und die stilistische Variationsbreite des Romans so recht bewusst. Miniaturdramen, Fragmente eines Entwicklungsromans mit Ayad als bisweilen törichter Hauptfigur, Essays über Politik, über das Träumen und Schreiben wechseln sich miteinander ab. Mittels dialogischer Passagen sind die reflexiven und narrativen Elemente vernäht, nie reißt der Erzählfaden, nirgendwo fällt das fein gesteppte Quilt auseinander.

Und nie bricht Akhtar den Stab über seinen Figuren, zu denen neben Pakistani Americans und Afroamerikanern auch die wütenden armen Weißen, übergriffige Cops und ärgerliche Waffennarren gehören. Auch hier setzt der Erzähler auf Zusammenhang statt Zerfall – den gesellschaftlichen Spaltungstendenzen zum Trotz. Fatalismus lässt Akhtar nicht zu; in der Summe ist es doch ein helles Buch.

Oder? Ausführlich zitiert Akhtar Frank Capras frühes Mindgame-Movie "Ist das Leben nicht schön?", in dem ein Engel dem von James Stewart gespielten lebensmüden Helden eine Kleinstadtwelt vorführt, in der es ihn, den solidarisch denkenden Bürger, nie gegeben hat. Es ist ein fiktionales Paralleluniversum, das auf erschreckende Weise den erbarmungslosen Alltag der US-Mehrheit im Jahr 2020 vorwegnimmt. Capras Vision zeige Amerika "verarmt und verschuldet, ein Ort, wo unser Schicksal von Eigentümern bestimmt und der amerikanische Traum zwangsversteigert wurde und selbst unsere affektivsten Dilemmata nur durch die Anhäufung von Geld wirklich gelöst werden konnten".

Bedrohung der Freiheit von zwei Seiten

Auch bei seinem Protagonisten verzichtet Akhtar auf Schönfärberei: Am Tag der Twin-Tower-Katastrophe wird Ayad in Manhattan wegen seiner dunklen Haut beschimpft und pinkelt sich vor Angst in die Hose. Als die Heilsarmee ihn mit neuer Kleidung versorgt, lässt er dort gleich ein kleines Kreuz mitgehen. Ayad tarnt sich am 11. September als Christ, um unbehelligt nach Hause zu kommen.

Die Lage, in die Ayad als gut integrierter muslimischer US-Intellektueller steckt, ist so absurd wie leider realistisch. Zumal seine Freiheit von zwei Seiten bedroht wird, von der reaktionär-amerikanischen wie der islamistischen Seite. In einer Passage über Salman Rushdie, dessen "Satanische Verse" und seine persönliche Sicht auf Koran und Propheten schreibt Akhtar: "Mein eigener Weg vom Kinderglauben zu jener Erwachsenengewissheit, dass den zentralen Narrativen des Islams sehr menschliche Bedingtheiten zugrunde liegen gäbe eine Geschichte ab, die über das, was ich hier schreiben will, weit hinausgeht, die ich aber eines Tages in qualvoller Gänze erzählen will. Ich werde das ohne jede Bosheit tun, und doch werde ich die Veröffentlichung vielleicht nicht überleben." Da zuckt man zusammen – und bewundert zugleich den Mut des Schriftstellers, seine Überzeugung eben nicht an eine Figur zu delegieren, sich derart ungeschützt aus der Deckung zu wagen.

Statt "Heimat-Elegien" zu titeln, was eine korrekte Übersetzung wäre, hielt der Übersetzer Dirk van Gunsteren am schillernden Wort "Homeland" fest. Darin schwingt ein euphemistischer Begriff wie "Homeland Security" (Heimatschutz) mit, automatisch muss man auch an das entsprechende US-Ministerium denken, das nach den Terroranschlägen geschaffen wurde.

Eine Zeit brach an, in der Muslime wie die Akthars ausgegrenzt wurden – und sich ein problematischer Heimatbegriff etablierte. Heute gibt ein amtierender Präsident nicht einmal mehr vor, für alle Amerikaner zu sprechen. Nur hat die Misere weder mit Trump begonnen, noch wird sie mit ihm überwunden sein. Doch so erstaunlich wie der ganze Roman, der die Zerrissenheit eines Landes und seiner Bewohner kraftvoll zu fassen bekommt, ist der Schlusssatz des Erzählers: "Amerika ist meine Heimat".