Agnieszka Polskas Appell war eindeutig: Redet über die Kunst! Zusammen mit den anderen Nominierten für den Preis der Neuen Nationalgalerie 2017, Sol Calero, Iman Issa und Jumana Manna, hatte die 33-Jährige im vergangenen November die Öffentlichkeitsarbeit der renommierten Auszeichnung kritisiert. Ständig habe man betont, dass die Shortlist ausschließlich weiblich war und die Künstlerinnen so international – die künstlerischen Inhalte blieben dabei unterbelichtet.
Also: Reden wir über Agnieszka Polskas Kunst, denn dazu gibt es in diesem Herbst reichlich Anlass. Zur Art Week eröffnet am 27. September ihre Einzelausstellung mit eigens produzierten Werken im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart. "The Demon’s Brain" ist die Prämie für ihren Sieg bei der neunten Verleihung des Preises der Nationalgalerie. Für ihre Ausstellung räumt der Hamburger Bahnhof Agnieszka Polska die zentrale historische Halle frei – ein mächtiger Raum, der erst einmal gefüllt werden will. Nachdem die vorherige Preisträgerin Anne Imhof für ihre gärende Inszenierung aus Rauch, Drohnenflug und Minimalperformance gefeiert wurde, zeigt Agnieszka Polska nun auf vier mal acht Meter großen Leinwänden eine Videoinstallation aus historischem Material, selbst gedrehten Szenen und digitalen Animationen.
Die im polnischen Lublin geborene Künstlerin und ehemalige Studentin von Hito Steyerl kreiert Bilder, die aussehen, wie mit dem Zauberstab angetippt: Als hätte sie ganz Harry-Potter-haft alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen zum Leben erweckt. Illustrationen aus einem Gymnastikbuch fangen plötzlich an, sich in Zeitlupe zu dehnen und zu verbiegen ("Medical Gymnastics", 2008). Eine glühende Sonne bekommt Mund und riesige Baby-Augen und setzt zum melancholischen Monolog über die Klimakatastrophe an ("What the Sun Has Seen", Teil der Nominiertenausstellung 2017). Das Ergebnis ist gleichzeitig verspielt und beunruhigend. Die Niedlichkeit ihrer Protagonisten drückt alle Affektknöpfe des Publikums, ist aber gleichzeitig ein Köder, um die Betrachter in ihren digital verfremdeten Kosmos hineinzuziehen, in dem bei Weitem nicht alles niedlich ist.
Das Kindchenschema greift auch bei Agnieszka Polskas neuer Arbeit, in der ein Botentier in Form eines Pferdes mit gigantischen Barbie-Augen auftaucht. Die insgesamt vier Filme basieren auf der Geschichte einer polnischen Salzmine. Agnieszka Polska hat Briefe aus dem 15. Jahrhundert ausgegraben, die der Direktor der Mine an seine Arbeiter, Gläubiger und Schuldner geschrieben hat. Die Mine erscheint dabei als frühes kapitalistisches System, Salz ist nicht nur Ressource, sondern auch Währung. Ein animierter Dämon trägt das Thema in die Gegenwart und lässt heutige Rohstoffverschwendung und Bitcoin-Mining in die historische Märchenwelt sickern.
Wichtig ist Agnieszka Polska die kontemplative Qualität ihrer Arbeit. "Langsame, unnatürlich ruhige Bewegungen gibt es in den meisten meiner Videos", sagt sie. "Ich arbeite vor allem mit animiertem Film, also liegt auch etwas Meditatives im Produktionsprozess. Jedes Projekt braucht viel Zeit und Konzentration – für die Betrachter und für die Macherin." Die Erzählung vom Archiv, das lebendig wird, ist in der zeitgenössischen Kunst ein wenig überstrapaziert. Aber da Agnieszka Polska keine Angst vor Klischees hat, nimmt sie sich auch dieser Phrase an. Dabei balanciert sie gekonnt zwischen Nostalgie und der Unheimlichkeit der digitalen Gegenwart – Niedlichkeitsfallen inklusive.