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9 Kunst-Filme, die sich jetzt lohnen

"Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (Film Still) von Rosa von Praunheim
Foto: Courtesy Mubi

"Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (Film Still) von Rosa von Praunheim

Unsere Filme der Woche brechen Tabus, machen einen Kunstdieb und einen Maulwurf zu Helden und denken über klimafreundliches Bauen nach
 

Bahnbrechendes von Rosa von Praunheim

Daniel, eine Schönheit vom Lande, kommt nach Berlin und verliebt sich in Clemens. Nach Monaten der pseudo-bürgerlichen Ehe (ohne Trauschein, wie denn auch 1971?) tauscht Daniel Clemens gegen einen Älteren mit Villa aus. "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt", heißt Rosa von Praunheims bahnbrechender Film von vor 40 Jahren. Das Motto beginnt Daniel ansatzweise zu begreifen, als er von "dem Reichen" selber wie ein austauschbares Objekt behandelt wird.

Aber der filmische Entwicklungsroman mit satirischen Zügen fängt erst an. Daniel arbeitet in einem Schwulencafé, kleidet sich modisch, wird Sex-Addict. Beim Cruising erlebt er, wie ältere Homosexuelle zusammengeschlagen werden. Dann trifft er Paul, der ihm mit in seine schwule WG nimmt, in der über Politik und Verantwortung diskutiert wird. Daniel könnte sein Leben ändern. Von Praunheims queerer Film entstand kurz nach der Liberalisierung des § 175. Vorher war Sex zwischen erwachsenen Männern strafbar.

"Unser Film sollte provozieren, Schwule und Hetis aus ihrer Ruhe und ins Gespräch bringen", erklärte Rosa von Praunheim. Wir wollten auf keinen Fall einen Film, der die Schwulen glorifiziert oder bemitleidet. Uns war es wichtig, die beschissene Situation der Schwulen schonungslos aufzudecken". "Nicht der Homosexuelle ist pervers ..." gab der Schwulenbewegung wichtige Impulse und hat auch das deutsche Kino verändert.

"Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt", auf Mubi


Die gefährliche Sogwirkung von QAnon

Der Theatermacher Arne Vogelgesang beobachtet radikale Propaganda im Netz. In seinem Videoessay "This Is Not A Game" untersucht er die aus den USA stammende QAnon-Verschwörungsideologie, die von dunklen Machenschaften einer weltweiten Elite handelt und in Deutschland inzwischen eine beachtliche Anhängerschaft hat.

Vogelgesang zeigt in seiner Arbeit den Bildersog, den diese Mythologie im Netz entfaltet und geht davon aus, dass gerade die Form einer Challenge und der spielerische Charakter QAnon so attraktiv machen. "Es ist ein Angebot von Spektakel und Teilhabe an einem großen politischen Ereignis", sagt der Künstler im Monopol-Interview. Das ganze Gespräch zu den Hintergründen der Verschwörungsideologie und ihrem performativen Charakter lesen Sie hier.

"Arne Vogelgesang: This Is Not A Game", PACT Zollverein online, bis 17. April, danach on Demand bei den Berliner Festspielen

Arne Vogelsang, "This is not a Game", 2021
Foto: ©️ Arne Vogelgesang, PACT Zollverein

Arne Vogelgesang, "This is not a Game", 2021


Der Koch als Maulwurf

Es gibt viele Dinge, die man machen könnte, wenn man im jungen Alter in Frührente gehen muss: Man könnte Dackel züchten, segeln lernen, reisen. Der Däne Ulrich Larsen hat eine andere Idee: Er wird privater Undercover-Agent und legt sich mit Nordkorea an. Nachdem der berufsunfähige Koch einen Film über den Schurkenstaat gesehen hat, kontaktiert er einen Regisseur, der selbst nicht mehr in das Land reisen kann, und bietet sich als "Maulwurf" an.

Dieser Filmemacher ist Mads Brügger, und er willigt ein. Es entspinnt sich eine unglaubliche Geschichte um heimlich gefilmte Treffen mit hohen Funktionären, Waffenhändlern und verschrobenen europäischen Altkommunisten, die in Freundschaftsvereinen für ein besseres Bild von der sozialistischen Trutzburg kämpfen.

In zwei Teilen begleitet der Dokumentarfilm "Der Maulwurf" Ulrich Larsen zehn Jahre lang auf einer Reise, die den Familienvater nicht nur von Uganda über den Nahen Osten auf die koreanische Halbinsel führt, sondern auch in eine Schattenwelt aus privaten und staatlichen Kriminellen. Klingt ausgedacht, aber das dänische Fernsehen und die BBC haben diesen Film einem ausführlichen Faktencheck hinterzogen und nichts zu beanstanden. Unbedingt sehenswert.

"Der Maulwurf – Undercover in Nordkorea", 3sat-Mediathek und ZDF-Mediathek, bis 31. März 2024


Kunstbasteln mit dem Bronx Museum

Falls Sie von der ganzen Lockdown-Streamerei auch schon ein wenig matschig im Kopf sein sollten: Das New Yorker Bronx Museum bietet Videos an, bei denen man selbst bastelnd aktiv werden kann. Vermittler und Vermittlerinnen des Museums stellen künstlerische Techniken vor, die sich auch ohne überbordendes Talent und mit haushaltsüblichen Materialien verwirklichen lassen.

Jede Episode hat ein Werk oder eine Künstlerin aus dem Bronx Museum zum Vorbild. Unter anderem kann man mit Anleitung Print- und Zeichnentechniken oder das Collagieren ausprobieren. Auch wenn vielleicht nicht sofort große Kunst herauskommt: Eine feinmotorische Herausforderung jenseits des Touchscreens ist es allemal.

"Bronx Museum At Home: Art Studio", Bronx Museum online



Erich von Stroheim - gehasst und geliebt in Hollywood

Als Darsteller von schmierig-brutalen Ordensträgern war er "The Man you love to hate". Als Regisseur galt der in Wien geborene Erich von Stroheim (1885-1957), dessen adelige Herkunft und angebliche Offizierslaufbahn ein werbekräftiger Fake waren, im Hollywood der 1930er als "persona non grata". Von den zehn Filmen, die er zwischen 1918 und 1933 inszenierte, kam nur ein einziger unverstümmelt ins Kino. Sein Opus magnum "Greed" wurde von zehn Stunden Laufzeit auf 150 Minuten heruntergekürzt. Die Langfassung der minutiösen Verfilmung des Romans "McTeague" von Frank Norris ist verschollen, der ruinöse Rest tief beeindruckend.

Mubi präsentiert seinen zweiten Film "Foolish Wives" (1921), in dem Stroheim selbst einen Hochstapler (!) verkörpert, der in Monaco eine Botschafter-Gattin verführt. Eine verschlungene Geschichte, und ein Paradebeispiel für die Drastik, Detailwut und Verschwendungssucht des Regisseurs, der halb Monte Carlo in Hollywood nachbauen ließ.

Außerdem ist der danach von Universal Pictures produzierte Stummfilm "Merry-Go-Round" (1923) verfügbar, die Liebesgeschichte zwischen einer Drehorgelspielerin und einem jungen Aristokraten in Wien. Nur 15 von 114 Minuten dieser Melange aus Kolportage und Groteske stammen wirklich von Stroheim, der durch einen den Produzenten genehmen Regisseur ersetzt worden war. Zum Kennenlernen des besessenen Produzentenschrecks, dessen Handschrift "Merry-Go-Round" unübersehbar trägt, ebenfalls zu empfehlen. In Billy Wilders ungleich berühmterem "Sunset Boulevard" (1950) spielt Erich von Stroheim übrigens den ergebenen Hausdiener (und Ex-Regisseur) Max, der suizidalen Stummfilm-Diva Norma Desmond vorgaukelt, sie sei noch ein gefragter Star.

"Merry-Go-Round" und "Foolish Wifes", auf Mubi

"Foolish Wives" (Filmstill) von Erich von Stroheim
Foto: Courtesy Mubi

"Foolish Wives" (Filmstill) von Erich von Stroheim


Ach, Germania!

Der Titel der ZDF-Kultur-Reihe "Germania" ist provokativ in Frakturschrift gesetzt. Dabei geht es genau um das Gegenteil einer völkischen Vorstellung von der homogenen Nation. In einer Reihe von Interviews erzählen bekannte Persönlichkeiten aus Kunst, Musik oder Sport von ihrem Verhältnis zu Deutschland. Die Protagonistinnen und Protagonisten wie Samy Deluxe, Tupoka Ogette, Eunique, Andrea Petkovic oder Neven Subotić, die ganz verschiedene kulturelle Hintergründe haben, sprechen über ihre Biografien und die Frage: Was ist deutsch?

Auch wenn Aktivist*innen immer wieder darauf hinweisen, dass die Debatte um Diversität, Migration und Rassismus in Deutschland nicht nur anhand individueller Geschichten geführt werden sollte, kann man die Serie als Gesprächsreihe mit interessanten Persönlichkeiten schätzen. Das Deutschsein ist nur eine Facette von vielen.

"Germania", ZDF Kultur

Rapperin Eunique in "Germania"
Foto: ZDF

Rapperin Eunique in "Germania"

 

Achterbahnfahrt mit Josef Hader

Aus die Maus: Georg (Josef Hader) ist seine Stelle als Musikkritiker einer Wiener Tageszeitung los. Sparmaßnahmen. Leserproteste von Klassikfans werden darob wohl ausbleiben, sagt sein Chefredakteur Waller (Jörg Hartmann) eiskalt, denn "die sind alle tot" und er, Georg, könne ja ein Buch schreiben. Tut Georg aber nicht.

Stattdessen treibt er sich am Prater herum, freundet sich mit Erich (Georg Friedrich) und dessen rumänischer Freundin Nicoletta (Crina Semciuc) an und macht mit beiden die alte Achterbahn "Wilde Maus" flott. Der gleichnamige Film, das Regiedebüt des Hauptdarstellers Josef Hader, erzählt von Midlife Crisis und Kommunikationsunfähigkeit. Trotz einer trüben Ausgangssituation ist der Film oft rasend komisch, besonders in den Szenen einer misslingenden Rache: Georg will, dass Apparatschik Waller dafür leidet, dass er ihn rausgeworfen hat. Erst muss das Cabrio des wohlhabenden Chefs dran glauben, am Ende einer sauwitzigen Eskalationsspirale geht Georg daran, Waller in seiner Berghütte zu erschießen.

Parallel zu diesem Krimi-Plot flicht Hader, der auch das Drehbuch verfasste, Episoden aus dem Schaustellermilieu des Praters und Szenen einer Ehe ein: Georgs als Psychotherapeutin praktizierende Ehefrau Johanna (Pia Herzegger) ahnt nichts von dessen Entlassung, ist fixiert auf ihren bisher unerfüllten Kinderwunsch und erlebt eine Affäre mit einem schwulen Ex-Patienten. Am Ende werden die Erzählstränge auf wahnwitzige Weise miteinander verknüpft, und im Publikum reift die Erkenntnis: Lebenskrisen können der Quell von Genuss sein – aber wahrscheinlich nur in Österreich.

"Wilde Maus", ARD-Mediathek, bis Samstag, 20. Februar, 23.59 Uhr

 

Diamantenklau mit einem Meisterdieb

Mit einem Kunstdieb mitfiebern? Ein ambivalentes Gefühl. Aber bei Omar Sy in der Serie "Lupin" ist es schwer zu vermeiden. In fünf Folgen von je 45 Minuten wird die Geschichte des jungen senegalesischen Einwanderers Assane Diop in Paris erzählt, dessen Vater Angestellter beim wohlhabenden Unternehmer Hubert Pellegrini ist. Als Chauffeur bringt er sich und seinen Sohn gerade so durch. Als sein Arbeitgeber ihn beschuldigt, ein wertvolles Collier gestohlen zu haben, wird er inhaftiert. Im Gefängnis begeht er Selbstmord, und der noch minderjährige Assane wird zum Waisen. Das einzige, was ihn an seinen Vater erinnert, ist ein Buch von Schriftsteller Maurice Leblanc über den Meisterdieb Arsène Lupin. 

Jahre später hat sich Assane Diop für einen erfolgreichen Karriereweg abseits der legalen Wege entschieden und will herausfinden, was damals wirklich mit dem Collier und seinem Vater geschah. Das Schmuckstück ist inzwischen wieder aufgetaucht und soll im Louvre versteigert werden. Diop schmiedet einen genialen Plan, der hier nicht weiter verraten werden soll.

Die Dreharbeiten haben tatsächlich im Louvre in Paris stattgefunden und mussten im März 2020 aufgrund der Pandemie für mehrere Monate unterbrochen werden. Doch das Endergebnis entschädigt für die Wartezeit. Und das Beste: Es wird voraussichtlich diesen Sommer fünf weitere Folgen geben.

"Lupin", auf Netflix



Bauen für morgen

In Berlin wird gerade über das Museum der Moderne diskutiert, das neben der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum entsteht. Kritikerinnen und Kritiker monieren die hohen Baukosten, aber auch die Klimaunfreundlichkeit des energieintensiven Hallenbaus des Architekturbüros Herzog & De Meuron. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, war Nachhaltigkeit kein vorrangiges Kriterium bei der Ausschreibung.

Wie es besser gehen kann, untersucht die Arte-Reihe "Bauen für morgen". Sie stellt Architekturbüros vor, die sich klimafreundlichen Entwürfen verschrieben haben und untersucht Materialien jenseits von Glas und Beton, die die ressourcenfressende Baubranche grüner machen können. Eine Folge widmet sich dem Architekten Arno Brandlhuber, der Nachhaltigkeit vor allem darin sieht, mit dem zu arbeiten, was schon da ist. Außerdem führt die Serie nach Dänemark und Wang Shu.

"Bauen für morgen: Nachhaltige Architektur", Arte-Mediathek, unterschiedlich verfügbar

"Brandlhuber - Bestand und Beton" (Film Still)
Foto: Dreamteam Media

"Brandlhuber - Bestand und Beton" (Film Still)