101 Spring Street ist eine Adresse im südlichen Manhattan und ein Stück Kunstgeschichte. 1968 erwarb Donald Judd ein Fabrikgebäude in der heruntergekommenen Gegend, die damals noch als Cast Iron Historic District bekannt war. Es wurde zum Hauptquartier der Minimal-Art-Bewegung, Prototyp des New Yorker Künstlerlofts, ja Inbegriff von SoHo, wie man den Stadtteil wenig später nannte.
Auch für Judd war 101 Spring Street mehr als Atelier und Wohnraum. Der damals 40-Jährige verabscheute Galerien und Museen (sie machten aus Kunst, was Proseminare aus Literatur machten, so seine Überzeugung) und fand in dem Bau die ersehnte permanente Bleibe für seine Installationen: Hier konnte er seine Vorstellungen einer Kunst verwirklichen, die sich formal zurückhält und umso mehr im Raum entfaltet.
Schon von außen ähnelt der Bau einer jener minimalistischen Stahlbox-Assemblagen, mit denen Judd bekannt wurde. Im Inneren entfernte er herabhängende Decken und ordnete jedem der fünf Stockwerke eine Funktion zu: Das Erdgeschoss war Treffpunkt und Spielplatz seiner Kinder Flavin (benannt nach seinem Künstlerfreund Dan Flavin) und Rainer (benannt nach der Tänzerin Yvonne Rainer), darüber wurde gegessen, gearbeitet, gelebt, geschlafen. Ausgestattet waren die Räume mit selbst entworfenen Möbeln, mit seiner Kunst und der seiner Freunde Flavin, Carl Andre, John Chamberlain, Claes Oldenburg, Frank Stella. Nach Judds Tod im Jahr 1994 stand das Gebäude leer.
Seit einigen Jahren ist 101 Spring Street für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Judd Foundation, an deren Spitze die Kinder des Künstlers stehen, hat das Haus über einen Zeitraum von elf Jahren für rund 23 Millionen Dollar renovieren lassen; das New Yorker Architecture Research Office (ARO) übernahm die Aufgabe, notwendige Eingriffe (behindertengerechte Zugänge, Brandschutz und Sicherheit, Raumklima zum Erhalt der Kunstwerke) möglichst unsichtbar durchzuführen.
So weit möglich, wurde der Zustand von 1994 belassen oder wiederhergestellt: von Möbeln, Kunstwerken und Büchern in den Regalen bis hin zur Suppenschüsselnsammlung und den Bleistiften auf dem Schreibtisch des Künstlers. Das Ganze wird etwas kulissenhaft (Mitte der 80er-Jahre dienten die Räume tatsächlich einmal als Schauplatz des Hollywood-Films "9 1/2 Wochen", in dem Kim Basinger eine Galerieassistentin spielt – Judd brauchte das Geld), doch im besten Fall funktioniert das musealisierte Studio weniger als Kultstätte denn als Zeitkaspel. "So vieles von dem, was Judd entwarf, ist zum ästhetischen Standard zeitgenössischer Galerieräume geworden", so Adam Yarinsky von ARO. An diese Ursprünge will man erinnern.
Auch das gehört zur Geschichte: In SoHos Künstlerlofts und Galerien sind längst Modeboutiquen eingezogen. Es ist jetzt ein wenig wie damals, Ende der 60er-Jahre: 101 Spring Street ist das einzige Atelier der Umgebung.