Wir hatten Sex in den Trümmern

New York, Ende der 70er-Jahre: Die verfallenen Piers an der Westseite Manhattans entwickeln sich zu einer morbiden Oase für Kleinkriminelle, Obdachlose und sonnenbadende Hedonisten. Künstler wie Gordon Matta-Clark oder Dan Graham experimentieren in den weiten Hallen mit Installationen, junge Männer mit gleichgeschlechtlichem Sex. Auch der junge Fotograf Alvin Baltrop kommt hierher, auf der Suche nach Männern und nach Motiven. Von 1975 und bis 1986 entstehen Tausende Bilder von den Hafenanlagen und ihren Bewohnern und Besuchern. Es sind Dokumente eines doppelten Verfalls: der Industrieanlagen und der Schwulenszene durch den Einbruch der Aidsepidemie.


Baltrops intensive Schwarz-Weiß-Aufnahmen erzählen von Zärtlichkeit und Melancholie und erinnern in ihrer unaufgeregten Queerness an Herbert Tobias. Doch während der deutsche Fotograf zumindest posthum mit großen Ausstellungen geehrt wird, ist Baltrop fast vergessen. Das Whitney Museum hat begonnen, einige seiner Werke zu kaufen, doch der riesige Nachlass des New Yorkers, der 2004 starb, ist unsortiert und weitgehend unbekannt.
Christian Siekmeier, der als Fotograf selbst lange in New York lebte, hat jetzt einen Galerieraum in Berlin eröffnet, in dem er Vintage-Fotografien Baltrops zeigt. Es ist dies die erste Alvin-Baltrop-Ausstellung in Europa überhaupt – die letzte ist es sicher nicht.