Hochschulreport 2006

Wie lehrt man Kunst, Jonathan Meese?

 

 

Jonathan Meese, geboren 1970, studierte bei Franz Erhard Walther an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg. Heute warnt er vor dem Studium. Er ist Deutschlands wichtigster Nicht-Lehrer.

Kann man Kunst lernen?
Kunst ist weder lernbar noch lehrbar. Kunst entspringt ihrem Instinkt. Die Wesen, die von der Lehrbarkeit der Kunst sprechen, sind entweder Mitläufer, Mittelmaß oder im besten Falle Diktatoren.

Warum lehren Sie nicht?
Ich kann nicht lehren, denn ich weiß nichts. Kunst ist ein großes Spiel, das sich selbst spielt, wie ein Traum, ein Abenteuer, eine Utopie, ein Wahn, ein Glück. Das Spiel benotet sich selbst, birgt sein eigenes Risiko, und kein Mensch kennt die Regeln (siehe Catcher in the rye, not living according to the rules). Die Diktatur der Kunst ist die Freiheit des Menschen. Man muß der Kunst freien Lauf lassen, menschliche Befindlichkeiten, Meinungen, Einschränkungen haben keinen Platz. Kunst ist das offenste Spiel, es läßt sich nichts erzwingen. Kunst ist das totale Geheimnis. Kunst herrscht, wo der Mensch seine Unwissenheit zugibt ... Staatliche Kunsthochschulen heute sind Zuchtanstalten der Mitläufer geworden. Es werden nur noch Kunstsoldaten ausgespuckt, ohne Rückgrat. Es herrscht totale Gehirnwäsche. Nur einer von tausend bricht aus, das ist zu wenig, also zynisch. Private Werkstätten im Namen von Alchemie und Respekt sind notwendig, in denen sich aus der Sache heraus Demut zur Kunst bildet. Die Grenze der Kunst ist die begrenzte Befindlichkeit des Menschen. Kunst ist Entsprungenes, aus der Scham, der Hilflosigkeit und der Verlegenheit. Der Mensch kann sich auf Kunst nichts einbilden, sie geschieht einfach. Kunst ist ihre eigene Weltanschauung.

Was ist der Vorteil des Nicht-Lehrens?
Der Nicht-Lehrer ist vogelfrei, also ein Phantom. Er ist und bleibt diffus, nebulös, statuslos und deshalb revolutionsfähig und gefährlich. Der Student wie auch der Professor sind in ihrem Status immer revolutionsunfähig. Sie können nur Dinge minimal verändern.
Sie sind Gefangene ihres Staats-Status, der sie unterdrückbar und unterdrückend macht. Das Nicht-Lehrende ist immer totale Demut der Sache gegenüber. Die Kunst ist frei, total, der Künstler hat es nicht zu sein, denn der Mensch ist nie frei. Das Nicht-Lehrende ist ungewiß, d.h. in sich selbst utopisch. Kunst ist ein hermetischer, radikaler, liebevollster, erzbedingter Traum. Die Odyssee der Kunst ist
ein Glücksspiel, das erhabenste, menschlichste Glücksspiel. An Kunsthochschulen heute kannst du nur gewinnen, und das ist das Grausame. Revolutionen sind ausdem Schutzbunker des Studententums unmöglich.

Was können Sie besser als Ihr Lehrer Franz Erhard Walther?
Ich kann nichts besser als Franz Erhard Walther, er war für mich das absolut Richtige zur richtigen Zeit.

Was raten Sie Absolventen?
Ich wünsche allen immer viel Glück und Humor in totaler Unabhängigkeit. Sehet von Euch und Euren Befindlichkeiten ab! Die Diktatur der Kunst lehrt sich selbst und bildet die nächste hermetische Groß- Revolution zum Glück. Kunst ist die totale Liebe.


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