Wie haben Sie das gemacht, Simon Fujiwara?

"Ausgangspunkt meiner Arbeit war, dass der Lageplan der Kunstmesse Frieze für mich wie eine antike Siedlung aussah. Ich habe Architektur studiert und einen Sommer lang in Rom gelebt, wo ich viele archäologische Stätten untersuchte. Mich hat das immer fasziniert: diese wahnsinnig didaktischen Tafeln und Schaubilder, die dir so viel mehr erzählen wollen, als du je sehen kannst. Der Versuch, jeden Besucher in die Geschichte hineinzuversetzen, beruht auf einem ganzen System der Autorität, einer bestimmten Sprache, den Absperrungen, dem Glas über den Ausgrabungen, der Beleuchtung. Zusammen führen sie zu dieser spezifischen weihevollen Atmosphäre. Aber nicht nur erinnert der Messeplan an den einer antiken Stadt, auch sind die Kojen heute ungefähr genauso groß, wie damals Geschäfte oder Häuser waren. Als hätte sich in den vergangenen zwei Jahrtausenden nichts geändert. Deswegen die Idee: Was wäre, wenn darunter eine identische Stadt läge – nur eben 2000 Jahre alt –, eine ,Frozen City‘ unter der Frieze?

Eine Kunstmesse versorgt dich mit allem, Essen, Vergnügen, Hochkultur, Einkaufsmöglichkeiten wie in einer Stadt. Und beide betrittst du durch ein Tor. Gleich am Eingang hatte ich daher einen Fries installiert (frieze heißt auf Deutsch Fries). Er zeigt eine Szene, in der Menschen mit nichts in den Händen ankommen und den Ort voller Reichtümer wieder verlassen. Über die Messe verteilten sich dann vorgebliche Ausgrabungsstätten: ein Marktplatz, ein Vergnügungsviertel, Geschirr, das Skelett eines Künstlers und das einer Sammlerin und Kunstmäzenin.

Nachdem das Konzept stand, fing etwa sechs Wochen vor Messebeginn die eigentliche Arbeit an. Mein Partner Dai Jenkins verfügt über ein hervorragendes Netzwerk und hat ein Team aus Kulissenmalern und Bühnenbildnern zusammengestellt. Unser Bildhauer war der gleiche, der auch die Puppen und die Ausstattung für den Film ,Der fantastische Mr. Fox‘ erledigt hat, ein Mann namens Steve Carey. Das Grundmaterial für fast alle ,Fundstücke‘ bildete Styropor, das mit Industriegewebe überzogen und anschließend mit einer flüssigen Plastiklasur bemalt wurde. Sie trocknet schnell und kann jede Oberflächenstruktur imitieren, also Stein, Knochen, Ton und so weiter. Folgendermaßen lief es ab: Ich fertigte detaillierte Zeichnungen der einzelnen Ausgrabungsstätten an, die das Team dann umsetzte, manchmal gab ich ihnen auch Bilder aus Geschichtsbüchern als Vorlagen.

Erst dann habe ich mich um kleinere Requisiten gekümmert, Kämme, Münzen et cetera. Ich dachte, es würde irre schwierig, aber zum Glück gibt es jede Menge Antikefreaks, die sich zu Rollenspielen verabreden, und einen entsprechenden Markt. Im Internet kannst du einen ,original römischen Frauenschuh‘ in jeder beliebigen Größe bestellen. Als ich meine Sachen beisammenhatte und die Stätten vollständig bestückt waren, mussten wir noch Schmutz produzieren. Insgesamt sieben verschiedene Arten, um das Ganze realistisch wirken zu lassen. Eine Woche vor dem Messestart fingen wir an, vor Ort zu arbeiten. Ein Bagger grub Löcher, in denen wir unsere Relikte, die in Boxen aufgebaut waren, versenkten.

Der ganze Prozess stellte sich als eine Art verkehrte Archäologie heraus: Statt anhand von Funden eine Zivilisation zu rekonstruieren, hatte ich meine fest vor Augen und musste entsprechende Relikte herstellen, die auf sie schließen lassen würden. Es gab asiatische Schriftzeichen – die ‚Frozen City‘ trieb Handel mit China und war sehr tolerant. Und einen toten Künstler, der von der Mäzenin ausgehalten wurde. Beides Geschichten, die sich sowohl auf das Heute wie das Damals beziehen ließen.

Der Künstler der ,Frozen City‘ wurde nach mir modelliert. Damit wollte ich einerseits klarmachen, dass ich Teil des Kunstmarkts bin, dass ich mit der Installation keine Kritik von außen üben will oder kann. Andererseits sollte die gesamte Messe mit dieser Erzählung übernommen werden. In einem ebenfalls ausgestellten Text legte ich sogar nahe, dass die Messe von der Stadt wusste und absichtlich diesen Standort gewählt hatte. Indem ich immer weitere Fiktionen entwickelte, hoffte ich, auch die Messe könnte wie eine Fiktion wirken.

Als besonders beeindruckend stellte sich am Ende heraus, wie künstlich alles war, aber wie authentisch es schien. 60 000 Besucher kommen jedes Jahr zur Frieze, und ich hatte befürchtet, sie würden einfach nur über meine Glasplatten laufen, sie ignorieren oder als schlechten Witz abtun. Das Gegenteil trat ein: Sie standen ehrfürchtig davor. Nach unten zu schauen, in die Erde hinein, bedeutet rein physisch so etwas wie der Blick ins Feuer. Du fängst sofort an, an deine Vorfahren zu denken und an die Zeit. Du fragst dich: Sind wir alle nur Tiere? Dazu kommt das intuitive Denken: Das hier ist richtige Kunst, richtig alt, sogar unter Glas! Diese archaische Macht konnte ich anzapfen.

Mehr als die Hälfte der Gäste hat geglaubt, es handle sich um einen echten Ausgrabungsort. Einige waren richtig wütend. Ich habe eine Person gehört, die sagte: „Aber woher haben sie all diese Informationen auf den Tafeln, wenn es nicht echt ist? Wie kann die Frieze uns anlügen? Wenn es ein Kunstwerk ist, sollte es auch gekennzeichnet sein!“

Letztlich können wir ,Geschichte‘ nur in Form von Erzählungen erfahren, unterliegen Konzepten von ,Alter‘ oder ,Antike‘ auch einer psychologischen Dimension. Vielleicht wird man in 2000 Jahren an dieser Stelle wirklich graben, um zu verstehen, wie unsere Gesellschaft tickte. Und dann vielleicht eine Stoffkatze des Künstlers David Shrigley finden und schlussfolgern, wie wichtig diese Tiere für die Kunstmesse Frieze waren. Dass damals jeder eine Katze besaß und sie verehrt wurden wie heilige Wesen."

Simon Fujiwara wird vertreten von den Galerien Gió Marconi, Mailand, und Neue Alte Brücke, Frankfurt am Main. Aktuelle Ausstellungen, in denen Arbeiten des Künstlers zu sehen sind: Manifesta 8, Murcia, bis 9. Januar 2011. "Huckleberry Finn", CCA Wattis Institute for Contemporary Arts, San Francisco, bis 11. Dezember