Filmdokumentation "Ai Weiwei: Never Sorry"

"Wie aufrichtig ist Ai Weiwei?"

Alison Klayman, Ihr Dokumentarfilm „Ai Weiwei: Never Sorry“ läuft vor allen anderen Ländern in Deutschland an. Warum ausgerechnet hier?
Deutschland ist ein besonderer Ort für Ai Weiwei. Im internationalen Vergleich muss man sagen, dass er hier wohl am bekanntesten ist.

Woran liegt das?
Das war eine meiner ersten Fragen. Ich denke, sein Beitrag für die Documenta 12 hat einen großen Teil dazu beigetragen, aber auch die Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron für das Olympiastadion in Peking und die Einzelausstellung im Haus der Kunst. Ich bin damals mit ihm nach München gereist und erkannte zum ersten Mal, dass er auch außerhalb von Asien respektiert wird. Als ich ihn fragte, warum er so beliebt in Deutschland sei, sagte er, die Menschen seien hier politisch sehr engagiert und interessierten sich deshalb für seine Arbeit.

Wie haben Sie ihn kennen gelernt?
Nach meinem Geschichtsstudium zog ich 2006 nach China und begann journalistisch zu arbeiten. Als meine Mitbewohnerin zwei Jahre später eine Ausstellung in Peking mit Ai Weiweis frühen New-York-Fotografien organisierte, fragte sie mich, ob ich nicht einen Dokumentarfilm über ihn drehen wolle. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nie einen Film gemacht, aber da ich wenig Aufträge hatte, bin ich ihr in sein Studio gefolgt und habe angefangen zu filmen. Ich wusste im Grunde genommen nichts über den Künstler, vielleicht dass er die Olympischen Spiele kritisiert hatte, aber erst nach und nach erfuhr ich, wie bekannt er in China ist.

Wie bekannt ist Ai Weiwei denn in China?
Naja, es ist sehr unwahrscheinlich, dass jemand, der sich in der chinesischen Kunstszene auskennt, nicht weiß, wer Ai Weiwei ist. Aber außerhalb dieses Zirkels? Ich frage mich, wie viele zeitgenössische Künstler könnte eine normale Person wohl aus ihrem Heimatland nennen? Ich könnte keine Liste amerikanischer Künstler erstellen. Und internationale Künstler? Damien Hirst? Ai Weiwei hat großen Einfluss auf die chinesische Kunst gehabt, vor allem in Beijing als Künstler, Kurator und persönlicher Berater.

Nach dem Abschluss des Ausstellungsprojekts haben Sie Ai Weiwei für weitere zwei Jahre begleitet. Warum?
Ai Weiwei sprach mit mir über sein Blog und die Kampagne, die er für die Erdbebenopfer der zentralchinesischen Provinz Sichuan plante. Ich dachte, ich sollte mitfahren. Ai Weiwei ist sehr charismatisch, und ich wusste, dass Menschen ihm 90 Minuten lang zusehen würden. Es liegt an der Art, wie er sein Leben führt, in einem autoritären Staat Dinge thematisiert. Er wehrt sich wie viele andere Chinesen gegen die Zensur und repräsentiert ein anderes, kritisches China, das die Menschen kennenlernen sollten. Aber als ich die Arbeit an dem Film begann, wusste ich davon nichts. Ich hatte im Grunde nur Fragen.

Was für Fragen hatten Sie?
Wie aufrichtig ist dieser Mann? Sein Unternehmen heißt Fake, er verhandelt Originale Fälschungen, er gibt sehr viele Interviews und stellt so viel für so viele verschiedene Menschen dar. Da lag die Frage auf der Hand.

Und haben Sie eine Antwort bekommen?
Mein Film spiegelt, was ich gefunden habe. Ich empfinde die Werte, ьber die er spricht und von denen er sagt, dass sie ihn motivieren, als unglaublich aufrichtig.

Zeigen Sie deshalb in Ihrem Film ausschließlich Personen, die Ai Weiwei unterstützen und ihm nah stehen?
Tatsächlich kennt jeder, der im Film auftaucht Ai Weiwei und war bereit sich interviewen zu lassen. Es gab einige, von denen ich einen kritischen Standpunkt erwartet und die ich um Stellungnahme gebeten habe. Aber diese Personen haben es abgelehnt, mit mir zu sprechen. Und glauben Sie mir, ich war sehr offensiv. Ich denke, ein Kritiker, der sich nicht äußert, beweist damit nur die Schwäche seiner Position. Aber es stimmt, Experten, die Ai Weiwei nicht kennen und ihn nicht mögen, habe ich nicht befragt.

Kennen Sie die Meinung der Kritiker?
Ich denke, ihre Skepsis ist zum Teil der Presse geschuldet. Auch ich habe einige Zeit gebraucht, um zu verstehen, wer Ai Weiwei ist. Er ist einer der wenigen Künstler, die für Schlagzeilen im Politikteil der Zeitungen sorgen. Viele glauben, dass sein Ruhm auf seinem politischen Engagement und nicht auf seiner Kunst basiert.

Wie wichtig sind Ai Weiwei Schlagzeilen?
Sie sind nicht sein einziges Ziel. Seine künstlerische Karriere ist ihm sehr wichtig. Er möchte in Museen ausstellen und würde seine Kunst nicht für eine Schlagzeile vernachlässigen. Abgesehen davon existiert für ihn keine starre Grenze zwischen Kunst und Aktivismus. Ich habe von ihm gelernt, dass Kunst in erster Linie Kommunikation und soziales Engagement ist. Er schafft es, Interviews und soziale Medien in seine Arbeit einzubeziehen, ohne dabei eine Twitter-Meldung mit einem Kunstwerk zu verwechseln.

In Ihrem Film dokumentieren Sie einen Tweet, in dem Ai Weiwei seine Verhaftung voraussagt. Es heißt: „Was sie mir antun können? Deportation, Entführung und Verhaftung.“
Als Ai Weiwei am 3. April 2011 verhaftet wurde, arbeitete ich schon in der Postproduktion in New York. Damals stellten wir uns noch die Frage, wie wir die Risiken vermitteln können, die Ai Weiwei eingeht. Denn er redete zwar über Zensur und die Gefahr, vom Staat aus dem Verkehr gezogen zu werden, aber gleichzeitig konnte er sich frei bewegen. Er reiste, stellte aus, veröffentlichte Nachrichten im Internet. Wir hatten Sorge, dass er wie ein Schwätzer wirken könnte. Deshalb zeigen wir den Tweet. Auch wenn heute, nachdem Ai Weiwei verhaftet wurde, wohl niemand mehr daran zweifelt, dass das, was er tut, riskant ist.

In Ihrem Film könnte der Tweed auch wie eine Provokation, wenn nicht gar wie eine Instruktion wirken. Stilisiert sich Ai Weiwei zum Märtyrer?

Er hat über seine mögliche Verhaftung geschrieben, weil er wusste, dass es anderen so ergangenen war. Ich denke, der Tweed ist eher eine Anklage: Deportation, Entführung und Verhaftung - das habt ihr anderen angetan. Er sagte mir einmal, dass er seinen Ruhm dafür nutzt, um für andere zu sprechen. Genau dafür habe ich mich von Anfang an interessiert: Meint Ai Weiwei das aufrichtig? Ich bin heute davon überzeugt. Er ist ein sehr erfolgreicher Künstler und Architekt, er könnte wie andere Künstler auf ganz andere Art und Weise berühmt und reich sein, ohne die Regierung zu kritisieren.

Haben Sie sich durch Ihre Dreharbeiten in Gefahr begeben?
Als ich Ai Weiwei auf eine Polizeistation begleitete, wurde ich von Mitarbeitern der zentralen Aufsichtsbehörde, die anders als die Polizisten auch Englisch sprechen, aufgefordert, meinen Personalausweis vorzulegen und die Filmaufnahmen zu löschen. Auf einem anderen Ausflug wurde unsere Autotür aufgerissen, wir wurden angeschrien und sie haben eine Videokassette entwendet, die ich allerdings vorher ausgetauscht hatte. Es gab beängstigende Momente. Aber in China wäre es eine große Sache, eine ausländische Journalistin anzugreifen. Ich habe mir deshalb eigentlich mehr Sorgen um die chinesischen Bürger gemacht, mit denen wir unterwegs waren, als um mich.

Ihr Film endet mit der Freilassung Ai Weiweis nach 80 Tagen Haft. Haben Sie nach dem 22. Juni 2011 noch einmal mit ihm gesprochen?
Eigentlich sollte der Film mit einer wunderschönen Aufnahme aus der Londoner Tate Modern enden, wo Ai Weiwei 2010-2011 seine Einzelausstellung hatte. Ai Weiwei läuft mit seinem Sohn über die Sonnenblumenkerne, seine Installation in der Turbinen Halle. Im Mai 2011 sollte er nach New York kommen und sich einen Rohschnitt des Films anschauen. Wenige Wochen vorher wurde er verhaftet. Es war für mich persönlich eine sehr schwierige Zeit, auch die Arbeit am Film fiel mir nicht leicht. Ich gab eine Menge Interviews. Immerhin hatte ich zwei Jahre in einem PR-Trainingslager verbracht und Ai Weiwei dabei zugesehen, wie er Interviews gibt. Ich wollte ihm mit der Pressearbeit etwas zurückgeben, nur dass das Interesse der Medien irgendwann so zunahm, dass ich mich wieder dem Film zu wenden musste.
Die letzte Szene des Films – Ai Weiwei kehrt nach seiner Haft zurück nach Hause – habe ich nicht gedreht, sondern Nachrichtenagenturen. Ich habe mit Ai Weiwei am Abend seiner Freilassung telefoniert und bin im September nach Peking geflogen. Er hat mit mir persönlich sehr offen über seine Erlebnisse gesprochen, nur nicht mehr vor der Kamera.




Alison Klayman: „Ai Weiwei: Never Sorry“, 2012, 91 Minuten, mehrsprachig mit deutschen Untertiteln, ab 14. Juni in deutschen Kinos