Kunst und Literatur

Was macht die Kunst, William Boyd?

Ihr Freund Gore Vidal hat in der Originalausgabe ein grandioses Statement über den von Ihnen erfundenen Nat Tate beigesteuert: „Ein bewegendes Buch über einen Künstler, der von seinen Zeitgenossen zu gut verstanden wurde.“
Ja, Gore Vidal, einer der wenigen, die in mein Projekt eingeweiht waren, hat mir großartige Zitate geliefert. Etwa von Peggy Guggenheim, die ihm erzählt hätte, Nat Tates Schwanz sei länger als der von Samuel Beckett. Das konnte ich natürlich nicht schreiben, nur, dass sie ihn für einen guten Liebhaber hielt. Aber solche Zitate von vertrauenswürdigen Personen wie Gore Vidal oder dem Picasso-Biografen John Richardson, den ich ebenfalls kenne, haben viel dazu beigetragen, dass das Buch glaubwürdig wurde. Es kam auf die gekonnte Mischung aus erfundenen und wahren Quellen an.

Man kann „Nat Tate“ als bissige Satire auf die Kunstwelt lesen. Mögen Sie zeitgenössische Kunst überhaupt?

Ich bin fasziniert von Kunst, ich wollte eigentlich Maler werden und auf die Kunstschule gehen. Mein Vater ließ mich nicht, also wurde ich Schriftsteller. Aber ich habe sehr viel über Kunst geschrieben und wurde in den 90er-Jahren ins Herausgebergremium des Magazins „Modern Painters“ geholt, genau wie David Bowie. Der hatte gerade seinen kleinen Verlag 21 Publishing gegründet und wollte mit mir über Nat Tate ein Buch machen. Eigentlich hatte ich die Figur aber für das Magazin erfunden, denn „Modern Painters“ wollte gern ein bisschen Fiction von mir haben.

Sie kennen sich sehr gut aus mit der New York School rund um Jackson Pollock, Franz Kline, und Willem de Kooning. Warum siedelten Sie Nat Tate in diesem extrem populären Umfeld an?
Als ich Nat Tate erfand, erregten gerade die Young British Artists Aufsehen. Ich fand, dass sie sehr ähnlich funktionierten wie die New York School: Sie wurden irre reich und berühmt, wie Popstars, aber die wenigsten sind wirklich talentierte Künstler. Dieses Dilemma aus selbst empfundener Unzulänglichkeit und großem Erfolg brachte Pollock um, es brachte Kline um, Rothko brachte sich selbst um ... Nat Tate ist mein Symbol für den mittelmäßigen Künstler, dem großer Ruhm zuteil wird und der daran zerbricht.

Als Nat Tate auf den großen Meister Georges Braque trifft, erkennt er endgültig seine limitierte Begabung. Das ist zu viel für ihn, und er springt von der Staten-Island-Fähre. Ein alberner Freitod, fast schon verräterisch lächerlich.
Es wäre einfach gewesen, die ganzen erfundenen Fakten aufzudecken, aber gleichzeitig gibt es eben auch viele glaubwürdige Passagen, die keinen Zweifel aufkommen ließen. Höchstens der Humor hätte das Stück verraten können, denn es kommt wirklich jede Menge Quatsch darin vor. Aber das Buch hat den ganzen Apparat einer Künstler­monografie – ich gebe viele Referenzen an, die nicht existieren, es gibt Fußnoten, und sobald eine Fotografie eine Bildunterschrift trägt, glaubt man dem Bild offenbar. Bei den meisten Fotos, die ich verwende, habe ich keine Ahnung, wer die Leute darauf sind. Viele Bilder stammen einfach von einem belgischen Trödler, es sind ausrangierte Familienbilder von irgendwem. Viele Details stimmen dagegen aber auch, es gab die Hans Hofmann Summer School, die Nat besuchte, tatsächlich, und ich habe ein authentisches Bild davon verwendet. Jeder, der sich mit US-Malerei in den 50er-Jahren auskennt, wird das also sofort abnicken.

Und selbst wenn man sich nicht damit auskennt, behält man es lieber für sich. So funktionierte auch Ihr größter Coup: Sie und David Bowie feierten die Veröffentlichung der Nat-Tate-Biografie mit einer rauschenden Party in Jeff Koons’ Atelier. Keiner der hochkarätigen Gäste gab zu, Tate nicht zu kennen.
Bowie und die „Modern Painters“-Chefredakteurin hatten die Idee mit der Party, und Bowie kannte Jeff Koons. Der war, als alles aufflog, natürlich nicht besonders amüsiert über die Sache. Sie war auf der Seite eins der „New York Times“, und jedes Mal, wenn von dem großen Nat-Tate-Schwindel die Rede ist, erwähnt man auch Jeff Koons. Aber er war nur einer von vielen, ich wurde von extrem renommierten Journalisten sehr ernsthaft zu der Biografie interviewt, und es war mir ein bisschen peinlich, dass ich da lügen musste.

Was kann uns das Buch heute, wo wir wissen, dass es Nat Tate nicht gab, sagen?
Zum einen lieben die Menschen auch heute Schwindel und Enthüllungen. Als Banksy enttarnt wurde, bekam ich Anfragen, etwas dazu zu schreiben, obwohl das nicht viel miteinander zu tun hat. Aber die Geschichte ist seit über zehn Jahren in der Welt, und jetzt, wo sich die Aufregung um den Schwindel gelegt hat, kann man es als das lesen, als das es ja auch gedacht war: eine Allegorie auf Kunst und Ruhm – vielleicht sogar mit noch mehr Freude an den ganzen Finten. Es ist ja auch ein Tribut an die Macht des Schreibens.

Wie reagierten die Kunstkritiker damals eigentlich auf die Zeichnungen von Nat Tate, die ja von Ihnen selbst stammten?
Sie gingen ohne Weiteres als New-York-School-Zeichnungen durch. Ich zeichne mit Sicherheit besser als Jackson Pollock, der diesbezüglich nicht viel draufhatte. Hie und da, zum Beispiel, wenn Freunde von mir heiraten, „finde“ ich noch mal eine Nat-Tate-Zeichnung auf dem Dachboden und verschenke sie.

William Boyd: "Nat Tate". Aus dem Englischen von Chris Hirte. Berlin Verlag, 96 Seiten, 24 Euro