Marcel-Breuer-Schau in Dessau

Was ist ein guter Stuhl?

„Ein Stuhl zum Beispiel soll nicht horizontal-vertikal sein, auch nicht expressionistisch, auch nicht konstruktivistisch, auch nicht rein auf Zweckmäßigkeit hin gearbeitet, auch nicht zu dem Tisch ‚passend‘, sondern er soll ein guter Stuhl sein, und dann passt er zu dem guten Tisch.“ Als der Bauhaus-Schüler Marcel Breuer 1923 seine Grundsätze in einer Rede vortrug, war er erst 21 Jahre alt, stand jedoch schon kurz vor seinem größten Erfolg. Zwei Jahre später entwarf der Ungar seinen „Wassily-Sessel“, mit dem er Designgeschichte schrieb. Seine Objekte vereinen Zweckmäßigkeit und ästhetischen Reiz. Die Stahlrohrmöbel, die er konzipierte, sind bis heute mustergültig. Dass Breuer auch zahlreiche architektonische Meisterwerke schuf, vor allem in den Vereinigten Staaten, wurde in Europa allerdings weitestgehend übersehen.

Dieses Jahr wäre er 110 Jahre alt geworden. Die Ausstellungsmacher von der Dessauer Bauhaus-Stiftung haben sich zum Ziel gesetzt, erstmalig beide Schaffensbereiche Marcel Breuers gleichberechtigt zu präsentieren. Bei den Kindermöbeln angefangen, die in Breuers Massivholz-Phase entstanden, leitet die Schau chronologisch durch seine weiteren drei Material-Phasen, in denen er mit Stahlrohr, Aluminium und Sperrholz arbeitete, zeigt mit Fotografien den privaten Breuer und führt anhand von eigens für die Ausstellung konstruierten Modellen die unterschiedlichen Häuserkonzepte des Architekten vor.

Als Breuer 1937 in die USA zog – dem Bauhaus wendete er schon einige Jahre zuvor den Rücken zu – arbeitete er vorerst mit Walter Gropius zusammen und lehrte als Dozent für Architektur an der Harvard University. Seine Architekturentwürfe bezogen sich vorrangig auf den Bau von Einfamilienhäusern, erst später konzipierte er auch größere Bauten. Breuer entwickelte vier Häusertypen: das Mehrebenen-Haus, das Zwei-Zellen-Haus, das sich aus einem halböffentlichen und einem privaten Bereich zusammensetzt, das Langhaus und den Typ der großen Villa. Als Material favorisierte er, wie auch sein Vorbild Pier Luigi Nervi, den Sichtbeton.

Design ist niemals wichtiger als der Nutzer
Die lineare Formgebung und die Auskragung spielten nicht nur bei seinen Möbeln, sondern auch bei seinen Häusern eine große Rolle. Fließende Übergänge gab es bei dem Baukünstler nicht, er legte Wert auf eine klare Abgrenzung von Innen und Außen. Diesem Prinzip gehorchen auch seine Bauten, die sich durch ihre monumentale Präsenz auszeichnen, beispielsweise die Zentral-Bibliothek in Atlanta – ihre lediglich durch minimale Öffnungen aufgelockerten Fassaden erinnern an mächtige Burgwalle. Wie bei seinen Möbeln, stellte er das Design jedoch niemals über die Bedürfnisse der Nutzer.

In der Ausstellung trennt unter anderem eine Wand die Designobjekten von den Architekturmodellen. Nur unterschwellig wird deutlich, was die beiden Schaffensbereiche Breuers miteinander verbindet. Nichtsdestotrotz zeigt die Retrospektive anhand einzelner Entwurfsreihen, wie Breuer seine Ideen und Grundsätze umsetzte und immer wieder neu erfand.

„Marcel Breuer: Design und Architektur“, Bauhaus Dessau, bis 31. Oktober