Weltkunstschau

Warum die Documenta 14 eine starke Setzung ist

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Junge Menschen nähen auf dem Syntagma-Platz in Athen am 7. April im Rahmen der Documenta 14 bei der Performance "Check Point - Prosfygika" des Künstlers Ibrahim Mahama Jute-Säcke zusammen

Die Documenta 14 in Athen und Kassel mutet dem Betrachter einiges zu. Und doch und gerade deshalb: was für eine großartige Setzung!

Die Documenta 14 ist eine Zumutung. Sie ignoriert in großen Teilen das, was Kritiker und Kunstpublikum in der westlichen Welt als den aktuellen Stand der zeitgenössischen Kunst verstehen. Sie entzieht sich selbst ihr traditionelles Zen­trum, das Fridericianum, und füllt es mit einer politischen Geste. In ihren manchmal jargongetränkten, manchmal raunenden Verlautbarungen maßt sie sich an, auf die Krisen der ganzen Welt zu reagieren. Die Verdoppelung der Ausstellung in Athen und Kassel ist nur eines von vielen Symptomen ihres überzogenen Anspruchs.

Und doch und gerade deshalb: was für eine großartige Setzung. Adam Szymczyks Documenta 14 nimmt das Beste aus der Documenta-Geschichte auf: von Arnold Bode das Bestehen auf Demokratie, von Harald Szeemann das radikale Infragestellen des Kunstbegriffs und den Mut zum Chaos, von Catherine David und vor allem Okwui Enwezor die Einsicht, dass das westliche Kunstsystem eine westzentrierte, kolonialistische Veranstaltung ist, die eine globalere Perspektive dringend nötig hat.

Die Documenta soll zeigen, was ist, hatte Arnold Bode gesagt. Doch schon in den 50er-Jahren war das eine Fiktion: Die Documenta präsentierte einen ganz bestimmten Strang westlicher Kunst vor einem spezifischen politischen Hintergrund, dem des Kalten Krieges.

Heute gibt es keinen Kanon mehr, nur ganz viele verschiedene Perspektiven auf eine Kunst, die so vielfältig ist wie die Welt. Daraus zieht die Documenta 14 die nötigen Konsequenzen. Ihre Argumentationsstruktur ist klar: Im Zentrum steht Stück dunkle Materie in Gestalt eines der infamsten Bücher der Geschichte, des "Code Noir", der der Praxis der Sklaverei der westlichen Kolonisatoren im 17. Jahrhundert eine juristische Grundlage gab. Wie Satelliten kreisen die zeitgenössischen Künstler, viele aus genau den Ländern, die von der Unterdrückung betroffen waren, um dieses schwarze Loch der Geschichte.

Die Documenta 14 versucht die Dekolonisierung auf viele verschiedene Weisen: mit ihrer eigenen Reise nach Athen, mit Geschichten von Migration, mit der Präsenz von Körpern, die ihr eigenes Recht behaupten. Sie stellt die Frage nach dem Kunstbegriff mit neuer Dringlichkeit: Kunstwerk, Fetisch­objekt, Klang, Geste, die Hierarchien werden ignoriert. Nicht zuletzt fordert sie unsere Museen heraus, indem sie ihnen die Machtverhältnisse vorrechnet, auf deren Grundlage sie entstanden sind.

Eine perfekte Ausstellung ist die Documenta 14 nicht. Sie hat Schwächen in der Vermittlung; tastet sich stolpernd voran bei der Frage, wie andere Kulturen und Kunstbegriffe einbezogen werden können, ohne dass man sich einen neuen, exotistischen Popanz aufbaut. Es kann kaum anders sein, denn sie ist Manifestation eines Übergangs – sie wagt den Beginn einer Veränderung, die überfällig ist. Wir werden uns noch lange an ihr abarbeiten.