Neues Konzerthaus in Hamburg

Viel Harmonie

Hamburg hat sein spektakuläres neues Konzerthaus eröffnet. Was bildende Künstler von der Elbphilharmonie halten, zeigt bald eine Ausstellung in den Deichtorhallen

Konzertsäle früherer Zeiten sind gerade in den Foyers üppig ausgestattet: Kristalllüster und brillantbehängte Dekolletés wetteifern um die höchste Wattzahl des Abends. In der Elbphilharmonie der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron bleiben die glatt gespachtelten Wände des Foyers leer und kalkweiß. Die von den Architekten entworfenen klaren Leuchten der Firma Zumtobel sind dimmbar, aber sie schimmern nicht. Die Metallgeländer im Foyer des Großen Saals sind protestantisch mager und schwarz, das Holz skandinavisch matt und hell, der Boden der öffentlich zugänglichen "Plaza" ist mit Backstein ausgelegt wie die Aula einer Gesamtschule. Das Funkeln findet anderswo statt: an den Fenstern etwa, wo sich das Licht fabelhaft bricht und die Frachter und Ausflugsdampfer vorbeiziehen.

Die Elbphilharmonie huldigt der Musik und dem Hafen, nicht dem Glamour. Pailletten trägt sie bezeichnenderweise nur im Rolltreppenschacht ("Tube") und auf dem Dach. 5800 Stück sind es, mit einem Durchmesser von 90 bis 110 Zentimetern, betretbar und regenfest. Die paillettengeschmückte Rolltreppe führt Konzertbesucher von der Straße bis aufs Dach des Kakaospeichers, auf den der Neubau gesetzt wurde. Kristallin, leicht und plastisch auf Rotbraun, das immaterielle 21. auf dem erdigen 20. Jahrhundert: Das ist die Kernidee der Elbphilharmonie. Wo die Architektur erzählt und ein Gebäude von seinen Betreibern als Gesamtkunstwerk beschrieben wird, da ist für konkurrierende Erzählungen in Form von Kunstwerken kein Platz. Kunst am Bau, bei öffentlichen Ausschreibungen von Bund und Ländern Pflicht, ist in der Elbphilharmonie nicht vorgesehen. Keine Gemälde oder Fotografien zieren ihre asymmetrischen Wände, keine Plastik konkurriert mit dem Genius der Architekten.

Die Künstler dürfen sich aber von der Architektur inspirieren lassen. Die Deichtorhallen laden sie ein, sich in ihrem Medium mit dem "Gesamtkunstwerk" (Eigenbeschreibung) Elbphilharmonie zu beschäftigen und das Ergebnis im Februar in Hamburg auszustellen. Zugesagt haben bereits Candida Höfer, Cyprien Gaillard, Monica Bonvicini, Janet Cardiff und George Bures Miller, Sarah Morris, der Staubskulpteur Peter Buggenhout und Tomás Saraceno, der eine Arbeit mit Spinnenbeteiligung plant. Von außen betrachtet ist die Philharmonie tatsächlich selbst eine Plastik. Das zeltartige, in den bewegten Hamburger Himmel flatternde Dach und die an einen Weinberg erinnernde Anordnung der Sitze im Konzertsaal haben Herzog & de Meuron bei der Berliner Philharmonie entlehnt.

Hans Scharouns 1963 fertiggestelltes Konzerthaus gilt auch dem Akustiker der Elbphilharmonie als Wunderwerk. Uns Zeitgenossen sollte vor allem der Umstand zu denken geben, dass Scharouns von 1960 bis 1963 ohne einen einzigen Computer errichtetes warmgelbes, revolutionär asymmetrisches Haus eine Saison früher als geplant eröffnet werden konnte und nicht – wie die von dem großen und 2007 bereits weltbekannten Büro Herzog & de Meuron geplante Elbphilharmonie – erst nach einer Verdreifachung der Bauzeit. Der Kostenpunkt der Berliner Philharmonie betrug, in heutiger Kaufkraft gerechnet, 36 Millionen Euro. Die Baukosten der Elbphilharmonie zählen zu den bestpublizierten der jüngeren Geschichte, sie betrugen 789 Millionen Euro.  

Herzog & de Meuron werden Hans Scharoun weiterhin im Blick behalten – bald entsteht in Berlin in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Philharmonie ihr Museum für das 20. Jahrhundert. Was die Frage aufwirft, ob Computertechnik die Architektur besser oder nur teurer macht. Für die Elbphilharmonie wie auch für andere Bauten der Schweizer wurden große Gebäudeteile mittels 3-D-Rendering aus einzigartigen Elementen gefertigt. Das kostet, ist in einem Konzertsaal aber sinnvoll, weil Symmetrie nicht gut klingt, und es sieht gut aus. Die Wandverkleidung im Großen Saal der Elbphilharmonie, die "Weiße Haut", ist eine ästhetische Erfahrung, weil sie mit der Unvorhersehbarkeit ihrer 3-D-gefrästen Einzelelemente die Qualität natürlicher Objekte erreicht, von Korallenriffen und Wüstenformationen. Hier gehen einem beim Hören die Augen über. In einem Konzerthaus ist so was wunderbar, in einem Museum wäre es eine Katastrophe. Und unbezahlbar obendrein.