Ausstellung in München

Schläft ein Lied in allen Dingen

Der Künstler Thomas Bayrle lässt im Lenbachhaus München die Maschinen laufen

Wann haben Sie zuletzt in einer Autobahnkapelle gebetet? Und wer schaltet sonntags bei Tempo 120 auf der A 3 von Rihanna auf den Gottesdienst um? Die Verbindung zwischen Religion und Straßenverkehr erscheint nicht gerade zwingend. Bei dem 1937 in Berlin geborenen Künstler Thomas Bayrle findet die
Verknüpfung zwischen Spirituellem und Industriellem allerdings häufig statt. Neben anderen Werken präsentiert Bayrle in seiner Soloschau im Münchner Kunstbau laufende Auto- und Flugzeugmotoren, in deren Brummen sich Gebete, liturgische Gesänge und andere Vokalstücke einmischen. Titel wie "Monstranz" oder "Rosenkranz" verweisen zusätzlich auf die religiöse Sphäre.

Premiere hatten die gebenedeiten Motoren auf der Documenta 13, fünf Jahre später sind in München allerdings doppelt so viele Arbeiten wie in Kassel zu sehen.

Der Kunstbau des Lenbachhauses, passenderweise ein zum unterirdischen Museum umfunktionierter Teil des U-Bahnhofs Königsplatz, wird zur Werkhalle, das Aufsichtspersonal läuft mit Ohrenschützern herum. Um den Lärm zu begrenzen, sind die Motoren zeitversetzt in Betrieb. Das minutenlange Warten darauf, dass ein bestimmter Motor endlich anspringt, macht den Parcours etwas mühsam. Und auch in ästhetischer Hinsicht wirkt der Maschinenpark teilweise unbefriedigend. Aus den funktional interessanten Einzelobjekten, in Abständen über die Halle verteilt, wird keine Skulpturengruppe. Vor allem wenn sie stillstehen, fehlt den Auto-Innereien überdies der lässige Glamour, den Marcel Duchamps Readymades immer ausstrahlen. Man hätte wohl kleine Zellen bauen müssen, um das Gebetsmühlenhafte der Maschinen zur optimalen Wirkung zu bringen.

Schon in der Documenta-Halle, deren größten Raum Bayrle 2012 erstmals allein bespielen durfte, schienen sich die Motoren gegen die Vereinnahmung durch die Kunst zu wehren. Doch trotz der ausstellungsästhetischen Probleme: Isoliert als kinetische Objekte betrachtet, sind einige der Werke hinreißend. Beeindruckend vor allem ein großer, aus der Luftfahrt stammender Sternmotor mit der gallertartigen Bewegung seiner neun sternförmig angeordneten Pleuelstangen. In das Gestell dieser Arbeit "Hochamt" ist ein Lautsprecher integriert, aus dem die typischen Klänge und Psalmen einer heiligen Messe dringen.

Jeder Motor hat seinen Zusatzsound, der aber nicht zwingend aus dem Gottesdienst stammt. Ein Vespa-Motor läuft zum Gesang von Maria Callas, bei Citroën singt Edith Piaf, ein Scheibenwischer von Ford scheint The Velvet Underground zu dirigieren.

"Schläft ein Lied in allen Dingen", dichtete Eichendorff. Die Ästhetisierung von Technik hilft dem Menschen, sie zu ertragen. Vor der Industrialisierung hat das bei der seelischen Bewältigung von Naturphänomenen übrigens auch geholfen. Thomas Bayrle hat einmal geschildert, wie er – Ende der 50er in einer Weberei tätig – auf den Konnex Maschine/Gebet kam: "Ich habe bei einer bestimmten Frequenz der Maschine ein leises menschliches Jammern aus dem Inneren des Getriebes vernommen, so etwas wie Rosenkranzgesänge, als wären Betschwestern in der Maschine, die in einem dunklen Kirchenschiff leise ihren Rosenkranz murmeln. Das hat mich total high gemacht. Mein Zustand und der der Maschine näherten sich wie zwei Kupplungsscheiben an."

Die psychedelische Qualität, die hier angedeutet wird, wirkt auch in Bayrles Filmen, die im Kunstbau komplett zu sehen sind. Vor allem für den Bayrle-Anfänger sind die Animationsfilme hilfreich. Denn sie verdeutlichen das seiner Kunst zugrunde liegende Rasterprinzip, aus vielen Einzelteilen Superzeichen zusammenzufügen. Bayrles Werke leben von der Spannung zwischen dem Rädchen und dem Getriebe, dem Einzelnen und der Gesellschaft. "Der Faden ist das Individuum, die Masse ist der Stoff", hat der gelernte Weber einmal formuliert.

Nach dieser Formel hat Bayrle in den 60ern eine Reihe kinetischer Pop-Art-Bilder geschaffen. Bis 26. März ist mit seinem Ölbild "Mao und die Gymnasiasten" von 1964 noch ein derartiges Werk in der "Postwar"-Schau im Münchner Haus der Kunst zu sehen: Hinter einem Porträt des Großen Vorsitzenden machen winzige Sportler Rumpfbeugen, vereint zu einem bewegten Menschenteppich.

Eine weitere Superform ergibt sich aus dem Autobahnmotiv, das Bayrle seit den 70er-Jahren immer wieder gestaltet hat. Auch in seiner aktuellen Soloschau am ICA Miami (bis 26. März) schlängelt sich eine Miniatur-Autobahntrasse. Speziell für den Kunstbau hat der Künstler ein Wandrelief konzipiert, bei dem horizontale und vertikale Fahrstreifen auf 30 Meter Länge ineinander verflochten sind. Es soll die letzte "Autobahn" sein, hat Bayrle zur Eröffnung erklärt.

Statt sich in der Metapher eines Verkehrs zu erschöpfen, der ein Adernetz aus Straßen über die Kontinente geworfen hat, lässt sich die Wandarbeit durchaus als Datenautobahn lesen. Früh hat der Künstler mit seiner manischen Serialität die Revolution der Bits und Bytes vorweggenommen. Das Moment des Seriellen, die gnadenlos durchgespielte Web-Technik von Kette und Schuss – das bleibt in der Schau unterbelichtet. Dafür lernt man mit den Motoren einen anderen Thomas Bayrle kennen.