Kunstsoziologische Studie

Die feinen Unterschiede

Eine Studie untersucht, wie Männer und Frauen Kunst betrachten

Martin Tröndle ist Gegenwind gewöhnt. Wenn der Wahrnehmungsforscher vor Künstlern und Kunstwissenschaftlern spricht, hagelt es Proteste, was daran liegen dürfte, dass Tröndle die Beziehung zwischen Mensch und Kunst mit den Mitteln der Soziologie analysiert, also vermeintlich höchst individuelle Erfahrungen in Zahlen und Statistiken presst. Besonderes Reizthema: Tröndle hat untersucht, inwieweit Frauen und Männer Kunst unterschiedlich betrachten.

Für seine Studie hat der Professor am Kulturwissenschaftlichen Institut der Zeppelin Universität Friedrichshafen Daten von knapp 600 Museumsbesuchern erhoben. Er wollte wissen, mit welchen Erwartungen sie in eine Ausstellung gehen und mit welchen Erfahrungen sie herauskommen. Frauen ist es demnach wichtig, „mit allen Sinnen Teil der Ausstellung zu sein“ und ihr Kunstverständnis zu verbessern. Sie interessieren sich deutlich mehr als Männer für Schrifttafeln und Erklärungen, und sie bewerten die gesehenen Kunstwerke generell positiver – etwa was den Inhalt, die Komposition oder Hängung angeht. Männer hingegen gaben häufiger an, dass Kunstwerke sie traurig machten oder verängstigten.

Insgesamt sind die Abweichungen zwischen den Geschlechtern eher gering, etwa auch was die Reaktionen vor einzelnen Kunstwerken oder das Erinnerungsvermögen an einzelne Arbeiten betrifft. Und wo sie gemessen wurden, scheinen sie zumindest teilweise Rollenklischees zu bestätigen. Tröndle entgegnet seinen Kritikern, dass es an soziodemografischen Daten zur Kunstrezeption generell mangele, seine Forschung gerade auch für Museumspädagogik und Kunstvermittlung nützlich sei.

Eine weitere Studie widerlegt die Annahme, dass die Kunsterfahrung vom Maß des Vorwissens des Betrachters abhänge – also das, was Pierre Bourdieu den "guten Geschmack" der Gebildeten nannte. So unterschieden sich kunstaffine Besucher und Experten vor Ausstellungsbesuch stark von Laien: Sie gaben an, sich wenig für die "Schönheit" eines Werkes zu interessieren oder dafür, ob ihnen die Kunst gefalle – wichtig hingegen sei ihnen das "kuratorische Konzept", außerdem solle eine Ausstellung "zum Denken anregen". Die tatsächlichen Erfahrungen des Ausstellungsbesuchs beschreiben beide Gruppen dann aber fast gleich.

Kunstsoziologie, so schließt Tröndle, müsse sich weniger auf das Wissen und mehr auf die Erfahrung der Besucher konzentrieren; museumspädagogische Erklärungen, wie man ein Kunstwerk "richtig" sieht oder "liest", seien nicht nur problematisch, sondern kontraproduktiv, da sie Zugangsschranken errichteten.