Ende des Berliner Off-Space "Program"

In Schieflage

Vor fast sechs Jahren gründeten Carson Chan und Fotini Lazaridou-Hatzigoga im Berlin Bezirk Mitte den Projektraum "Program", eine "Initiative for Art and Architecture Collaboration“, wie es im Untertitel heißt. 400 Quadratmeter wurden via Zwangsverwaltung von der Stadt zum Spottpreis vermietet. Chan und Lazaridou-Hatzigoga griffen zu und etablierten ein Ausstellungsprogramm, in dem sie das Verhältnis von Architektur und Kunst überdenken.

Nach über 30 Ausstellungsprojekten, zahlreichen Workshops und Performances veröffentlichte Chan in diesem Jahr ein programmatisches Fazit, mit dem er sich von dem Ausstellungsraum verabschiedet. Der Titel des kuratorischen Manifests: "Space, Not Art, Is the Curator‘s Primary Material“. Das Argument: Die Ausstellungsarbeit könne heute nicht mehr darin bestehen, informative Überblicksschauen zu organisieren. Kunst müsse nicht sichtbar gemacht werden, das übernehme im Zeitalter von digitalisierten Bildarchiven und Künstlerportfolios das Internet. Die Ausstellungsarbeit könne nur legitimiert werden, wenn sich der Kurator auf die räumliche und leibhaftige Vermittlung von künstlerischen Positionen besinne.

Wie das in der Praxis aussehen kann
Die letzte Ausstellung, die Chan und Lazaridou-Hatzigoga im "Program" zeigen, macht deutlich, wie das in der Praxis aussehen kann. Die Künstlerin Lynne Marsh präsentiert zwei Videos in einer Ausstellungsarchitektur von June14. Für die Schau „The Philharmonie Project (Nielsen: Symphony No. 5)“ verfolgt Marsh eine Video-Produktion in der Berliner Philharmonie. Die Aufführung der 5. Sinfonie von Carl Nielsen sollte von einem Filmteam aufgenommen werden. Marsh nutzt für ihr erstes Video die Probeaufnahmen des leeren Konzertsaals. Für das zweite Video filmt sie die Produktion am Schnittpult in der ersten Etage.

Die Architekten von June14, Johanna Meyer-Grohbrügge und Sam Chermayeff, die jahrelang für das Büro SANAA in Tokyo gearbeitet haben, konzipierten für diese Arbeiten eine begehbare Fläche. Sie teilt den gesamten Ausstellungsraum diagonal auf und sieht aus wie ein aufgeklappter Boden in Schieflage. Im unteren Teil zeigt Marsh den leeren Konzertsaal, der dadurch wie ein Backstagebereich wirkt. Im oberen Teil präsentiert sie das Team, das das Konzert aus dem Off verfolgt, wie auf einer Bühne. So wird die musikalische Umsetzung der Partitur, die filmische Vermittlung der Musik, die künstlerische Perspektive auf die Filmproduktion und die architektonische Übersetzung der Kunst in einem Raum zusammengeführt.

Im Dezember muss "Program" diesen Raum nun verlassen. Die Umgebung ist zur neuen Heimat für den Bundesnachrichtendienst und die Deutsche Bahn geworden. Das Haus wurde an einen Privateigentümer verkauft und die Miete der Ausstellungsräume um das zehnfache angehoben.

„Program, Intiative for Art and Architecture Collaboration", bis 17. Dezember 2011