Wie der Titel dieser Retrospektive könnte auch die Diagnose für einen Gemütszustand lauten: „Too Far, Too Close“ bringt das Unbehagen auf den Punkt, das das Werk Chantal Akermans stark mitbestimmt. Die Befragung der eigenen Identität als Frau, Filmemacherin und Tochter von Holocaust-Überlebenden, der Wechsel zwischen engen Räumen und weiten Landschaften, das Interesse für die Ursachen der Migration in einer Welt, in der Unterschiede zunehmend verschwinden, Grenzen aber immer undurchlässiger werden.
Mit erst über 40 Jahren fand die Belgierin zur Videoinstallation. Kathy Halbreich, Anfang der 90er-Jahre Direktorin des Walker Art Center in Minneapolis, hatte Akerman damals dazu ermutigt und damit später zur Documenta 11 geführt und in die Galerie Marian Goodman. Von der riesigen weißen Halle im ersten Stockwerk des Het Museum van Hedendaagse Kunst Antwerpen, das Lawrence Weiner ein Jahr zuvor in ein Schriftmeer verwandelt hatte, ist eine verzweigte, durch Stimmen und Musik beschallte Blackbox übrig geblieben. Die erste Station des Films „D’est: Au bord de la fiction“ nimmt den Besuchern den Atem.
Der Ansatz ist dokumentarisch, die Aufsplitterung des Bildes auf 25 Monitore übergibt das Geschehen der Kontemplation. Passanten auf Bahnhöfen oder in ihren Wohnungen. Eindrücke einer Reise nach Moskau, die Akerman nach dem Fall der Mauer auf den Spuren ihrer jüdischen Vorfahren unternahm. Ein Panorama einer Welt voller Leerstellen, unterlegt mit Motorengeräuschen. Am Ende des Gangs stellt Kurator Dieter Roelstraete das Licht wieder an und die Uhr zurück. Jugendfotos und Sitzecken, in denen die frühen Filme Akermans gezeigt werden, lassen die Zuschauer nach den Expeditionen nach Mexiko oder China wieder zur Ruhe kommen, bevor der Film „Women from Antwerp in November“ (2008) überwältigt.
Die Straße dient als Echokammer, der Chantal Akermans Frauen ihre Dämonen anvertrauen, die Zigarette ist dabei die beste Begleiterin. Alles auch für Nichtraucher Pflicht.
Het Museum van Hedendaagse Kunst Antwerpen (MuHKA), Antwerpen, bis 10. Juni 2012