"Where Is Rocky II?"

Reden Sie, Ed Ruscha!

Ein Starkünstler, ein Detektiv, ein Rätselfelsen in der Wüste: Pierre Bismuth hat mit "Where Is Rocky II?" einen brillanten Essay über Kreativität gedreht

Was geschah wirklich mit Baby Jane? Wie klaut man eine Million? Wer hat Tante Ruth angezündet? Warum läuft Herr R. Amok? Wer tötete Victor Fox? Filmtitel mit Fragezeichen führen oft ins Verbrechen. "Where Is Rocky II?" klingt nicht bloß investigativ: In Pierre Bismuths Film, der eigentümlich zwischen Doku und Fiktion changiert, ist sogar ein echter Detektiv im Einsatz.

"Rocky II" hat nichts mit Sylvester Stallone zu tun. Es handelt sich, soviel ist klar, um einen menschengemachten Felsen, der irgendwo im kalifornischen Teil der Mojawe-Wüste versteckt ist. Ein weltbekannter Künstler ist für die Herstellung verantwortlich: Ed Ruscha fertigte 1979 einen Felsen aus Pappmaché und nannte ihn "Rocky". "Rocky II" entstand kurz danach aus wetterfestem Polyester. Seither ruht das Imitat irgendwo in der Wüste, unter lauter echten Felsen, als sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Ein Clip am Filmbeginn zeigt Bismuth, wie er sich in eine Londoner Ruscha-Pressekonferenz geschmuggelt hat und dem Künstler die Ausgangsfrage stellt: "Wo ist Rocky II?" Der überrumpelte Ruscha bejaht die Existenz des Fake-Felsens. Wo er liegt und ob es sich wirklich um ein Kunstwerk handelt, darüber schweigt er. Seine Kataloge helfen nicht weiter; keine der beiden "Rocky"-Versionen ist in Ruschas Werkverzeichnissen aufgeführt.

Pierre Bismuth feiert selbst als versatiler bildender Künstler Erfolge. Auch in der Filmwelt ist er kein Unbekannter mehr, seit er gemeinsam mit Charlie Kaufman und Michel Gondry den Oscar für das Originaldrehbuch von "Vergiss mein nicht!" (2005) gewann. Dessen ungeachtet hat sich Bismuth über Hollywood eher kritisch geäußert; "90 Prozent aller kommerziellen Filme sind Propaganda", erklärte er im Monopol-Interview (10/2016). So überrascht es nicht, dass "Where Is Rocky II?" zwar Motive der Unterhaltungsindustrie behandelt, doch selber den Mainstream umschifft. Enttäuscht werden zudem diejenigen, die auf eine klassische Künstlerdoku hoffen, denn Ed Ruscha und seine Kunstpraxis spielen hier eine marginale Rolle.

Dem Geheimnis um den falschen Felsen widmet sich Bismuth auf mehreren Ebenen. Er zeigt Sequenzen, die aus einer alten BBC-Dokumentation über den Abtransport des Kunstfelsens stammen. Daran knüpft Bismuth zwei Erzählstränge: Zunächst heuerte der Filmemacher einen Privatdetektiv an, um das Geheimnis zu lüften. Ex-Polizist Michael Scott befragt zuerst Größen der Kunstszene von Los Angeles, wobei sein Desinteresse an künstlerischen Belangen für komische Momente sorgt. Dann macht sich der Detektiv auf in die Wüste. Obwohl Scott und auch sein Auftraggeber Bismuth nicht wissen konnten, was sie an der jeweils nächsten Wegkreuzung erwartete, wirken die Szenen fiktional – als gäbe es dafür eine Vorlage von Raymond Chandler. 

Spürnase Scott soll den gefälschten Findling finden, während Bismuth die komplexere Frage nach dem Warum an zwei Hollywood-Drehbuchautoren delegiert (D. V. DeVincentis und Anthony Peckham). Auch hier stellt der Regisseur die Konvention auf den Kopf, indem er zwei reale Autoren in den Film implementiert, was unüblich ist. Statt für das Script von "Where is Rocky II?" verantwortlich zu zeichnen, entwickelt das Paar ein Drehbuch, das nie verfilmt werden wird. Doch das filmische Verwirrspiel wird noch weiter getrieben; Bismuth ("Wir haben einen neuen Begriff geprägt: Fake-Fiction") serviert noch einen Trailer, der mit Profischauspielern produziert wurde – das einzige wirklich fiktionale Element des Films. Die Story: Ein Künstler hat einen Mord auf dem Gewissen und vertuscht das Verbrechen, indem er die Leiche in einem künstlichen Felsen versteckt.

Das Ganze: eine Art ästhetisches Spiegelkabinett. Man weiß am Ende kaum noch, was in Filmen überhaupt erfunden, was wirklich sein soll. Macht nichts, denn "Rocky II" geht als sehenswerter Essay über Kreativität durchs Ziel. Fiktion, so legt Bismuth nahe, ist unsere Rettung aus der Ödnis des Banalen. Wenn der Alltag zur Wüste wird, langweilig bis zum Horizont, hilft nur das Erzählen. Man muss sich die Drehbuchautoren als glückliche Menschen vorstellen.