Preis der Nationalgalerie für junge Kunst

Der Auftritt der Nominierten

Brutalistische Buttermilch, abstrakter Sound, gebrüllte Anweisungen, Philologie als 5-Sterne-Spa: Heute Abend eröffnet die Ausstellung zum Preis der Nationalgalerie für junge Kunst 2015. Wir haben uns vorab umgeschaut

Wie soll man das in Worte fassen, was aus den acht Lautsprechern strömt, die Florian Hecker in zwei Räumen im Obergeschoss des Hamburger Bahnhofs von den Decken hängen lässt? Der 1975 in Augsburg geborene Künstler arbeitet Räumen und synthetischen Klängen. Seine Referenzen findet man in der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts, bei Iannis Xenakis beispielsweise, aber was bedeutet das schon in einer Zeit, in der Aphex Twin und andere Elektronik-Produzenten ähnlich herausfordernde Soundcollagen basteln. Der Unterschied: Bei Hecker setzt auch nach 20 Minuten Klangherausforderung kein Beat ein. Stattdessen kann man fast körperlich fühlen, wie unterschiedlich die beiden Klangräume funktionieren, die er für seine Komposition "Formulation" gebaut hat: In dem einen schlucken blaue Paneele mit lodenartigem Stoff sanft den Schall, in dem anderen schleudern ihn Aluminiumplatten dem Besucher fast aggressiv entgegen. Abstraktion, in Klang gefasst.

Die Künstlergruppe Slavs and Tatars bieten dagegen das Maximum an Narration. Worte waren immer ihr erstes Medium, sie erzählen Kulturgeschichte vorzugsweise als linguistische Anekdote, und die schöne Wissenschaft der Philologie preisen sie ironisch als Fünf-Sterne-Spa. Sie übersetzen freudig aus dem Arabischen ins Englische und Deutsche und zurück – so sollen die pittoresken arabischen Schriftzeichen auf einem schwarz-rot-goldenen Schild angeblich "Made in Germany" heißen, was ein Kalauer. Der allerdings von der Geschichte als Treppenwitzerzähler noch überholt wird: Slavs and Tatars reproduzieren auch, auf protzigem Spiegel, die Zeitschrift "Der Dschihad", die während des 1. Weltkriegs erschien, als das Deutsche Reich in der Nähe von Berlin muslimische Kriegsgefangene radikalisierte, die sich dann gegen ihre Kolonialmächte Frankreich, England und Russland wehren sollten. Unglaublich eloquent und clever ist die Installation – dabei irritiert nur die etwas zu protzige Ausführung der dazu gehörigen Skulpturen und Objekte. Die von der Decke hängenden riesenhaften Gebetsketten würden sich auch an einem Messestand gut machen.

Bei der 1978 in Gießen geborenen Anne Imhof haben Ironie und Witz dagegen erst mal wieder Pause, stattdessen übernehmen das Ritual und das Magische die Macht – und ganz viel Buttermilch, die den ganzen Raum mit ihrem säuerlichen, nicht unangenehmen Duft dominiert. Die Buttermilch schwimmt in hübsch brutalistischen Bassins, über denen große Boxsäcke an Ketten hängen. An den Wänden blaue Aluminium-Platten, von der Künstlerin minimalistisch mit Kratzern versehen, eine Art Pissoir aus Metall und eine Zeichnung. Bei regelmäßigen Performances in diffuser Lichtstimmung bewegen sich Akteure in Zeitlupe durch dieses dreidimensionale Bild, hantieren mit der Buttermilch und lassen Coladosen aufploppen, Schildkröten sind auch dabei. Man kann an Joan Jonas denken bei Imhofs Installation, die aus ihren Arbeiten "Deal" und "Rage" zusammengesetzt ist. Aber insgesamt bleibt die Bedeutung vage. Ob man die Preisjury mit Bildermagie überzeugen kann?

Christian Falsnaes, der letzte der vier Bewerber um den Preis der Nationalgalerie, probiert es dagegen eher mit Anschreien – und kommt nicht nur deshalb deutlich dringlicher herüber. Der 1980 in Kopenhagen geborene Künstler zeigt eine kleinere Arbeit, bei der man einzeln mit einem IPad interagieren kann: Drückt man auf Play, blicken einen Falsnaes durchdringende Augen an, und man folgt seinen Anweisungen.  Hinterher darf man entscheiden,  ob der Film davon auf Youtube hochgeladen wird oder gelöscht: In letzerem Fall darf man ihn allerdings auch selbst nicht noch mal sehen - wer sich selbst bespiegeln will, muss sich auch gleich der Öffentlichkeit aussetzen. Die größere, für die Preisausstellung entstandene Arbeit bringt Falsnaes Techniken der Performance mit Publikum auf eine neue, komplexere Ebene: Er kombiniert eine gefilmte Performance mit zwanzig Akteuren mit einer Stimme, die zur Reflexion auffordert. Gleichzeitig werden die Besucher im Raum von einem Performer dirigiert und müssen selbst bestimmte Handlungen ausführen. Das Setting ist verwirrend: Gebrüllte Anweisungen auf dem Bildschirm, analytisches Herunterbremsen, dann noch die Aktionsvorgaben in der Realität. Mit einer gewissen Brutalität vertreibt Falsnaes die Besucher aus der gemütlichen Beobachterposition und zwingt sie, Entscheidungen zu treffen, Stellung zu beziehen. Was darf eine Stimme, was darf ein Bild mit uns machen?

Was die Dringlichkeit und Aktualität angeht, sind Falsnaes und Slavs and Tatars die interessantesten der Nominierten. Doch wer am Ende den Preis und die damit verbundene Einzelausstellung im kommenden Jahr bekommt, wird am 18. September die Jury entscheiden.