Perlen vor den Säulen

 

Im Laufe der vergangenen 100 Jahre hat sich das Erscheinungsbild von Galerien immer wieder verändert: Auf Kunstsalons folgten schlichte Präsentationsräume, leer stehende Geschäftslokale und Fabriketagen und schließlich die riesigen weißen Würfel von Chelsea mit ihren schimmernden Betonböden. Es ist gut, dass New York solche großen Ausstellungsflächen hat. Aber diese makellosen weißen Kästen, lange Zeit architektonischer Standard, sind heutzutage überholt. Mit ihren riesengroßen, bedrückend kahlen Räumen tun sie der Kunst
keinen Gefallen.

 

Ursprünglich waren viele dieser Galerien für die ausladenden Installationen und gigantischen Leinwände der vergangenen 15 Jahre gedacht. Doch nun, da diese Tendenzen verblassen, erweisen sich die Räume als das, was sie immer schon waren – theatralische, idealisierende, sterile Umgebungen, die an Isola- tionszellen oder Operationssäle erinnern. Für das Kunsterlebnis der Besucher sind sie eher hinderlich. Sie verlagern das Schwergewicht vom Prozess auf das Ergebnis, beeinträchtigen jedes Experimentieren und besitzen weder Indivi- dualität noch Offenheit. Nicht, dass Kunst ausschließlich in Ladengalerien, alten Lofts und Fabrikhallen gezeigt werden sollte. Die ehemaligen Garagen in Chelsea sind okay, aber sie strahlen nichts Lebendiges aus. Was uns zu einem der verrückteren, lebendigeren Räume bringt, der alternativen Galerie White Columns. Sie ist 1970 in einem aufgegebenen Loft in SoHo gegründet worden, damals eine heruntergekommene Gegend, und wurde in ihrer 40-jährigen Geschichte zu einer der ersten Adressen für zeitgenössische Kunst in den USA. Für den Gründer Jeffrey Lew war White Columns – übrigens noch immer ohne Heizung – ein „freier Raum“, ein „sozialistisches Kunstsystem, ohne Verwal- tungsapparat und frei von politischen Interessen, offen für jedermann“. Jeder Künstler war hier willkommen.
Zur Feier des Jubiläums zeigte White Columns jüngst die Schau „From the Archives – 40 Years/40 Projects“, die einen Überblick über 40 Jahre Ausstel- lungsgeschichte bot. Gezeigt wurden hauptsächlich maschinengeschriebene Projektentwürfe, verwackelte Schnappschüsse von Hippies, Fotokopien von alten Rezensionen und anderes Material. Zum Glück hatte man darauf verzichtet, die sogenannte größte Generation der 60er- und 70er-Jahre zu verherrlichen, wie das heute oft üblich ist (statt sich auf 1968 zu konzen- trieren, sollte man eher an 1988 denken, jene Zeit, als das Geld abwanderte und eine Generation sich selbst überlassen blieb). Der Blick auf 40 Jahre „From the Archives“ machte zugleich Hoffnung, dass diese und ähnliche Einrichtungen die Wirtschaftskrise überleben werden.

 

In den 70er-Jahren wurden bei White Columns Künstler ausgestellt, die den Minimalismus überwinden und unbekanntes Terrain erkunden wollten. Barry Le Va hängte Hackbeile an die Wand, Gordon Matta-Clark ließ Pilze auf der Treppe wachsen, Chris Burden legte sich unter ein Schild mit der Aufforderung „Bitte stecken Sie Nadeln in meinen Körper“, Vito Acconci trug lebende Hähne am Leib. Es gab Events von Trisha Brown, Yvonne Rainer, Philip Glass und 1974 eine Ausstellung der damals unterschätzten Louise Bourgeois. White Columns in den ersten Jahren – das war ein Mix aus Wildwest und Kibbuz. Als in den 80ern Geld in die Kunstwelt kam, wanderten viele Künstler in kommerzielle Galerien ab. Doch White Columns blieb aktuell, Cindy Sherman und Kathy Acker präsentierten verkannte Künstler wie Elaine Sturtevant und unbekannte wie
Jeff Koons, Richard Prince und Mike Kelley. 1988 und 1989 wurden Arbeiten von Cady Noland, Felix González-Torres, Lorna Simpson und John Currin gezeigt.

Diese Ausstellungen machten mich einigermaßen ratlos. Nolans Metallarbeiten erschienen mir unverständlich, González-Torres’ politischer Minimalismus überladen, Currins Blondinenporträts so ehrlich und ironisch zugleich, dass ich nichts mit ihnen anfangen konnte. Ich wusste nur, dass das große Geld der Kunstwelt den Rücken gekehrt hatte und eine andere Art Kunst entstand.

 

Heute zeichnet sich eine vergleichbare Entwicklung ab. Auch der Kunstmarkt wird von der Krise erfasst, eine neue Künstlergeneration wächst nach. White Columns muss kein Vorbild mehr für andere Galerien sein. Doch dieser Ort hat einen ganz besonderen Charakter, dessen Einfluss wohl auch weiterhin zu spüren sein wird.