"Ai Weiwei - Never Sorry"

Niemals schachmatt

Drei Jahre im Leben eines Künstlers: Alison Klaymans filmisches Porträt "Ai Weiwei - Never sorry"

Die Beschreibung mag für einen Künstler, der sich mit aller Kraft seit Jahren gegen die Willkür chinesischer Behörden stellt, eher selbstverständlich klingen. Da sagt eine Wegbegleiterin in dem Film „Ai Weiwei – Never Sorry“: „Er weiß, was er zu sagen hat.“ Doch der Satz hallt in dem Porträt der Journalistin und Dokumentarfilmerin Alison Klayman nach. Sie zeigt Ai Weiwei als Fels in der Brandung, ein massiger Körper und Geist, ständig im Kontakt mit seiner Außenwelt über Blog und Twitter.

Ob er sich denn selbst als Künstler sehe, fragt die Regisseurin den 54-Jährigen, der spätestens seit seiner plötzlichen Verhaftung durch die chinesische Polizei im April 2011 weltweit bekannt wurde. „Ich bin ein Schachspieler“, antwortet Ai Weiwei. Erst mache der Gegner einen Zug, dann mache er den nächsten. Wer sich selbst so sieht, der kann gar nicht anders als weitermachen, hartnäckig bleiben.  Die Kamera begleitet Ai bei seinen Vorbereitungen der letzten großen Ausstellungen im Münchner Haus der Kunst und der Tate Modern in London.

Es folgt ein Ausflug in seine New Yorker Zeit, wo Ai Weiwei von 1983 bis 1993 lebte und die Konzeptkunst für sich entdeckte. Die US-Metropole, so zeigt die Autorin, war sein Erweckungserlebnis, nicht nur künstlerisch. Hier erfuhr Ai Weiwei Demokratie, immer wieder fotografierte er Demonstrationszüge. „Wenn Du einmal Freiheit gespürt hast, lässt sie Dich nicht mehr los“, erinnert sich Ai.  „Never Sorry“ ist Alison Klaymans Debütfilm, drei Jahre lang begleitet die junge Autorin den großen Meister der chinesischen Avantgarde. Sie hält auf das freudig erregte Gesicht, als Ai Weiwei in einem Londoner Hotels im Fernsehen die Bekanntgabe des Nobelpreises an den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo verfolgt und – der wohl privateste Moment – als er seinen kleinen unehelichen Sohn besucht, der bei seiner Mutter wohnt, „eine Freundin“, wie sie Ai Weiwei nennt. 

Herausgekommen ist ein handwerklich gut gemachtes Porträt, das vor allem den politischen Aktivisten in den Vordergrund stellt, seine Suche nach den Namen der 5000 Kinder, die im Erdbeben von Sichuan 2008 ums Leben kamen, weil beim Bau der Schulhäuser gepfuscht wurde. Oder sein Bemühen, seinen eigenen Fall aufzurollen, als er von Polizisten so heftig attackiert wurde, dass er eine Hirnblutung erlitt. 

Immer wieder kommen die Außenwände des Ateliers in den Blick, eine fensterlose Trutzburg, die sich so gut es geht gegen die Überwachung schützt, während drinnen Assistenten und Katzen wuseln. Wer jedoch hofft, dass Klayman eine eigene Bildsprache für Ai Weiweis bildgewaltige Kunst entwickeln würde, wird enttäuscht. Es ist ein journalistischer Film, Reportage-Elemente wechseln sich mit Einzelinterviews der Mutter, des Bruders, Galeristen und Künstlern ab. Zu den Umständen der plötzlichen Verhaftung im April 2011, nach der der Regimekritiker spurlos verschwunden war und zweieinhalb Monate wegen angeblichen Steuerbetrugs in Haft kam, kann der Film jedoch keine neuen Details hinzufügen.

Klayman beschränkt sich darauf, die große weltweite Anteilnahme ins rechte Bild zu rücken und ist wieder mit dabei, als Ai Weiwei freigelassen wird. Journalisten umringen ihn, als er in sein Haus gehen will, jede Frage wehrt er ab: „Ich kann nichts sagen, verstehen Sie das.“ Der Künstler war unter anderem unter der Auflage freigekommen, sich nicht öffentlich über seine Zeit im Gefängnis zu äußern. Ihn so einsilbig zu sehen, macht traurig.  Würde es da nicht diese anderen hoffnungsvollen Szenen geben. Eines Abends hat es sich Ai Weiwei mit seinem großen Team auf der Terrasse eines Restaurants bequem gemacht. Immer wieder bleiben Passanten stehen, sie danken dem Künstler für seine Aktionen. Einige nehmen Platz und essen ebenfalls dort. Es ist die größte Solidaritätsbekundung, die sie ihm machen können: Essen, Seite an Seite. Polizisten tauchen auf, sie wollen wissen, wie lange man denn noch gedenke, auf der Terrasse zu bleiben. Ai Weiwei schlürft genüsslich sein Süppchen und antwortet, das Essen schmecke draußen einfach besser. Die Beamten halten das Gespräch mit einer Videokamera fest. Aber auch ein Assistent des Künstlers dokumentiert die Szenerie, er filmt den filmenden Polizisten. Zwischen beiden gibt es nur einen Unterschied: Die Behörden werden das Material unter Verschluss halten. Ai Weiweis Aufnahmen flimmern über die Kinoleinwände dieser Welt.