Praemium-Imperiale-Preisträger Wolfgang Laib

"Mein Werk ist eine Herausforderung"

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Wolfgang Laibs Kunstwerke sind aus Blütenstaub, Wachs und Reis entstanden. Eine Kunstakademie hat der studierte Mediziner nie besucht. Am 21. Oktober wird dem 65-Jährigen der wichtigste Kunstpreis der Welt verliehen: der japanische «Praemium Imperiale». Mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sprach Laib über das jahrelange Sammeln von Blütenstaub - und darüber, warum es für ihn in der deutschen Kunstszene nie ganz einfach war.

Herr Laib, wie sind Sie zur Kunst gekommen?
Ich habe bis 1974 Medizin studiert. Ich habe ein abgeschlossenes Medizinstudium und dann mit Kunst angefangen. Zuerst mit Milchsteinen, dann mit Blütenstaub.

Wie sind Sie auf diese Stoffe gekommen?
Das war die direkte Antwort auf das Medizinstudium, mit dem ich sehr unzufrieden war. Diese Unzufriedenheit hat mich wahnsinnig stimuliert. Es gab diese unglaubliche Spannung in meinem Leben. Dass das menschliche Dasein nur der naturwissenschaftliche Körper ist, damit konnte ich mich nicht abfinden.

Sie haben das Menschsein also in der Kunst gefunden?
Ich denke, dass ich meinen Beruf nicht gewechselt habe. Ich habe in diesem künstlerischen Werk realisiert, was ich als Arzt wollte, aber in den Krankenhäusern nie machen konnte. Es war wie eine Erleichterung. Deshalb kam das auch so direkt, ohne einen Umweg über eine Kunstakademie.

Ist Kunst eine Art Heilen für Sie?
Auch, aber noch viel mehr. Es ist unglaublich komplex. Es geht um das Ganze. Blütenstaub ist die Essenz des pflanzlichen Lebens, und Milch ist nicht nur eine weiße Flüssigkeit.

Was hat man für ein Gefühl, wenn man den Praemium Imperiale, den Nobelpreis der Kunst, zuerkannt bekommt?
Am schönsten für mich ist, dass es bei diesem Preis um die Bedeutung von Kunst und Kultur für die Menschheit geht. Das ist ein Riesenanspruch, aber den hatte ich auch schon als junger Künstler, als ich zu Konrad Fischer ging. In vielen Teilen unserer Gesellschaft wird das nicht so gesehen. Kunst ist da nur das letzte Rad am Wagen. Wenn man aber die Geschichte der Menschheit sieht, da haben Kunst und Kultur immer die Menschheit woanders hingebracht.

Im heutigen Kunstmarkt hat Kunst aber doch oft nur den Anspruch, Geld zu machen. Da müsste Ihnen doch schlecht werden, oder?
Ich bin in dieser Hinsicht ein total altmodischer Künstler, der allein arbeitet. Andere Künstler haben bis zu 100 Mitarbeiter, ich habe gar keinen. In meinem Atelier bin ich allein.

Sie leben nicht nur in New York und Ihrem alten Heimatort in Schwaben, sondern auch in Indien. Woher kommt Ihre Beziehung zu Indien?
Ich habe seit meiner Kindheit eine enge Beziehung zu Indien und unterhalte dort seit etwa 10 Jahren ein Atelier. Meine Eltern interessierten sich sehr für indische Kunst und Kultur und haben ein Dorf in Südindien unterstützt. Das hat unsere Familie sehr geprägt. Darum habe ich während meines Medizinstudiums auch Indologie und Sanskrit studiert. Da hat sich eine sehr intensive und komplexe Beziehung zu diesem Land entwickelt.

Fließt die indische Philosophie auch in Ihre Kunst ein?
Ja, natürlich. Aber auf sehr komplexe Weise. Ich bin kein Buddhist. Ich bin sehr frei, ich bin ein Künstler, das ist sehr wichtig. Ich finde, historische Religionen können sehr schön sein, aber Kunst hat eine Offenheit und Freiheit auch für die Zukunft.

Sammeln Sie heute auch noch Blütenstaub?
Ja, jedes Frühjahr. Es ist physisch sehr anstrengend.
Löwenzahn hat sehr wenig Blütenstaub. Wenn ich ein Glas sammele, dann kommen 60 mal 80 Zentimeter raus. Kiefern haben sehr viel Blütenstaub. Da kann ich in einer guten Saison in einem Monat zwei Gläser sammeln. Wenn es eine schlechte Saison ist, dann vielleicht nur ein halbes Glas. Das Größte, was ich jemals gemacht habe, war im MoMA New York. Es war eine Fläche von 7 mal 8 Metern. Da hatte ich den Haselnuss-Blütenstaub von 20 Jahren.

Hält der sich?
Ja, von Anfang der 90er Jahre bis 2010. Ich habe ihn immer noch. Das ist so viel Arbeit und so viel Zeit, dass ich das nur für die besten Museen der Welt machen kann. Und auch nur dann, wenn ich weiß, dass ich den Blütenstaub zurückbekomme, und zwar fast so viel, wie ich gebracht habe.

Ich habe den Eindruck, dass Sie in Amerika bekannter sind als in Deutschland …
Es war für mich nicht einfach in Deutschland. Mein Werk ist in Deutschland für viele eine richtig große Herausforderung, weil es so anders ist. Viele meinen, sie seien tolerant, wenn es aber auf den Punkt kommt, dann ist Blütenstaub und Milchstein eine große Herausforderung. Ich komme nicht von einer Akademie, und dann noch aus einem Ort in Süddeutschland.

ZUR PERSON: Wolfgang Laib wurde am 25. März 1950 in Metzingen geboren. Nach dem Abitur studierte er Medizin in Tübingen und promovierte 1974. Unzufrieden mit dem Arztberuf begann Laib Mitte der 70er Jahre, mit Milch und Blütenstaub und später auch mit Wachs und Reis zu experimentieren. Seine Werke wurden in den bekanntesten Museen der Welt ausgestellt. (Interview: Dorothea Hülsmeier, dpa)