Martha Rosler im MoMA New York

"Marcuse hasste meine Arbeit"

Frau Rosler, in Europa sind Flohmärkte verbreitet – aber was genau ist ein „Garage Sale“?
Ein Flohmarkt ist eine öffentliche Veranstaltung, während ein „Garage Sale“ einen Einfall der häuslichen Privatwirtschaft in das öffentliche Feld darstellt. Leute, überwiegend Frauen, öffnen ihre Garagen, stellen ihre Sachen in die Einfahrt oder in den Hof. Es ist hauptsächlich ein Phänomen der Vor- und Kleinstädte.

Dabei legen doch gerade Vorstädter Wert auf Privatsphäre. Sollten sie es nicht vermeiden, dass die Nachbarn ihren Abfall sehen?
Genau das war meine Ausgangsfrage. Ich stieß erstmals auf „Garage Sales“, als ich in den 70er-Jahren von New York ins kalifornische San Diego zog und quer durchs Land fuhr. Und war schockiert. In New York verschenkt man Sachen, die man nicht mehr haben will. Man würde nicht darauf kommen, sie anderen Leuten für Geld anzudrehen, ja nicht einmal darauf, dass andere sie sehen können. Wie kann man erwarten, dass jemand anderes das kauft, was man selbst für Müll hält? Die Antwort ist: Die Leute haben ihr Schamgefühl abgelegt oder es überhaupt nie empfunden. Sie haben diese Besorgnis transzendiert, hin zu einem: „Vielleicht kannst du es ja brauchen.“ So wird Wert recycelt und damit die Möglichkeit zum erneuten Ausgeben zurückgewonnen.

Sie bringen dieses Vorstadtphänomen jetzt ins Atrium des MoMA, das Zentrum der Kunstwelt. Was passiert durch diese Verschiebung?

Da schon der erste „Garage Sale“ 1973 in einer Galerie stattfand, war es immer ein leicht schizophrenes Projekt: für normale Leute ein auch in Anzeigenblättchen beworbener typischer Garagenverkauf, aber für die Kunstwelt ein Ereignis, in dessen Zentrum die Frage steht, was Zugang zur Kunstwelt erhält, wie Wert entsteht.

Woher stammen die Objekte der MoMA-Schau?
Ein ziemlich großer Teil kommt von mir, darunter auch Objekte von früheren Garagenverkäufen. Außerdem haben die MoMA-Mitarbeiter Dinge gespendet und auch normale Leute. Interessant ist, wie sich die Ausgaben unterscheiden: In New York zum Beispiel gibt es nur wenige Sachen für Kinder, wenige Puzzles oder Spiele – Dinge, die in den Vorstädten dominieren. Auch sind wenig Massenprodukte dabei, eher solche, die das Leben von Kunstmenschen um die 30, 40 ansprechen.

Sie erwähnten Ihren Umzug nach San Diego in den frühen 70er-Jahren, wo Sie an der University of California ein Studium aufnahmen. Zählte Herbert Marcuse zu Ihren Lehrern?
Nein, denn er ist Philosoph, und ich studierte Kunst, aber ich besuchte einige Klassen. Er war einer meiner Mentoren. Er war der Mentor der gesamten Linken.

Beeinflussten seine Ideen zur Konsumkultur auch Ihren „Garage Sale“?
Im Gegenteil: Er hasste die Arbeit! Regte sich furchtbar darüber auf, dass billige Haushaltswaren die heilige Sphäre der Kunst entweihten. Marcuse hielt an der Hegelianischen Idee von der Kunst als „Negation der Negation“ fest, eine utopische Vision einer Welt ohne Warenwerte. Für ihn beruhte künstlerische Transzendenz auf dem Abstand der Kunst zum Alltag. Dabei hatten doch Pop- und Minimal-Art diese Vorstellung endgültig zerstört. Marcuse beeinflusste mich politisch, und wir stimmten überein, dass Kunst eine Quelle revolutionären Widerstands sein sollte. Aber welche Gestalt sie dazu annehmen musste – in dieser Frage lagen wir komplett auseinander.

„Meta Monumental Garage Sale“, 17. bis 30. November, MoMA, New York