Amy Sillman in Berlin

Malerei und Metamorphose

Alles fließt und tanzt und wandelt sich: Die Malerin Amy Sillman stellt in der Berliner Galerie Capitain Petzel aus

Abstrakt? Figurativ? Solche Schubladen kann man bei Amy Sillman vergessen. Alles ist fluide, Körper, grob skizzierte Dinge tauchen in ihren Bildwelten auf und vergehen wieder. In der zweiten Soloschau der US-Malerin bei Capitain Petzel hängt das kürzlich gemalte Bild "Song Cave": Eine weibliche Figur verbirgt schamvoll das Gesicht mit den Händen. Dann, wie in einer Doppelbelichtung, noch einmal die Hände, etwas tiefer. Eine rätselhafte Bewegung. Und die dünnen Arme der Frau sind so gemalt, dass sie Negativräume bilden: ein Paar hängender Brüste. Wie Maria Lassnig, formal aber ganz anders, verbindet die 1955 in Detroit geborene Künstlerin Komik mit skeptischer Selbstbespiegelung.
 
Sillman ist eine Spätzünderin. In der internationalen Liga spielt sie erst seit seit 2014, seit der Teilnahme an der Whitney-Biennale. Viele Jahre flog die experimentierwütige Künstlerin in ihrer Wahlheimat New York unter dem Radar der Kunstwelt. Das erste Galerie-Solo fand 1991 statt, die erste Museums-Retrospektive erst vor drei Jahren, in Boston.
 
"Ein Paar", der Titel der Schau mit 25 Bildern, teils auf Leinwand, teils auf Papier gemalt, ist erklärungsbedürftig. Vor blau aquarelliertem Hintergrund der Papierarbeit "SK2" trifft wohl tatsächlich ein mit schwarzen Linien aufs Papier geworfenes Paar aufeinander. Mit etwas schmutziger Fantasie lässt sich die schemenhafte Szene als Kopulation deuten. Daneben ein Blatt, formal sehr ähnlich, in dem sich die figurativ-erotischen Anmutungen aufgelöst haben. Das Bilder-Paar – und das ist die eigentliche Idee – erzählt von Bewegung und Zeit. Was eben malerisch formuliert werden konnte, sieht im nächsten Rahmen wieder ganz anders aus. Weil auch Denken und Gefühle in ständiger Bewegung sind.
 
Das duale Prinzip ist die Keimzelle des Seriellen: Am deutlichsten auf 13 Blättern – Gelb und Schwarz dominieren –, die als Reihe um eine Raumecke herum angeordnet sind. Man sieht stampfende Maschinen oder Körper. Und oft beides zugleich.
 
Sie hätte Filmemacherin werden können, erzählt Sillman kurz vor der Eröffnung. "Zeit und Wechsel, die Bewegung von einem Zustand zum nächsten, das bedeutet mir viel", sagt sie. Im Untergeschoss des Pavillons an der Karl-Marx-Allee ist ihre Videoanimation "After Metamorphoses" zu sehen. Der 5-Minuten-Schnelldurchlauf durch die "Bücher der Verwandlungen" des römischen Dichters Ovid enstand in Zusammenarbeit mit der Musikerin Wiebke Tiarks; die Hintergründe malte Sillman in einer Berliner Badewanne, die Cartoons zeichnete sie auf dem iPad. Eine Hand pflückt Argus’ Augen und setzt sie einem Pfauen in die Federn, Io wird von Zeus in eine Kuh verwandelt. Metamorphosen im Sekundentakt. Ein grausam-witziger Bilderbogen. "Es gibt keine Moral bei Ovid", sagt Sillman, "die Zeit ist das einzige Gesetz".
 
Die Zeit mahlt, Sillman malt. Wie das Licht an wechselhaften Tagen ändern sich die Farben im seriellen Takt der Malerei. Gelb verblasst, Gelb vermischt sich mit Morgenröte. Grün strahlt, Grün wird stumpf. Alles fließt, die Zeichnung tanzt und wandelt sich in irren Volten.