Georg-Kolbe-Museum

Kreislauf mit Stromanschluss: Junge Künstler zeigen in Berlin "romantische Maschinen"

„60 Jahre. 60 Werke“ – die Deutschlandparade ging im Martin-Gropius-Bau gründlich schief. 90 Jahre kinetische Kunst, 9 Werke im Georg-Kolbe-Museum – das funktioniert, weil die Auswahl stimmt. Eine Handvoll „Romantische Maschinen“ genügen dem Kurator Marc Wellmann, um Aspekte und Perspektiven der bewegten Skulptur zu behandeln. Eine Großausstellung zum Thema wäre natürlich schön, aber das soll nicht als Kritik an Wellmanns wohlüberlegter Auswahl (fast nur) junger Werke verstanden werden.
 
Das Georg-Kolbe-Museum besteht aus dem Atelierhaus des 1947 verstorbenen Bildhauers und einem Neubau. In diesen eher kleinen Räumlichkeiten will der neue Ausstellungsleiter Wellmann vermehrt aktuelle Positionen zeigen. Müsste er Kinetische Kunst auf noch weniger Raum zusammenfassen, würde er sich wahrscheinlich auf den Beitrag Zilvinas Kempinas’ beschränken: Der litauische Künstler bläst mithilfe eines Ventilators ein Magnetband gegen die Wand. Beide Enden sind zur Endlosschleife gefügt, zum flattrigen „O“, das im Luftstrom zirkuliert, solange keiner den Lüfter ausknipst.
 
Verwandt mit den Kinetischen Konstruktionen Naum Gabos, der 1920 in Moskau zeigte, wie schwingende Drähte ein virtuelles Volumen beschreiben, zitiert Kempinas’ minimalistische Skulptur doch auch frühe Computertechnik, die mit wuchtigen Magnetbandspulen arbeitete. Kinetik in nuce: Den Bogen von der einfachen Bewegung zur „denkenden“ Maschine, von der Kinetik zur Kybernetik, schlägt auch der Medienwissenschaftler Peter Weibel in seinem Aufsatz zur Geschichte des Themenfeldes – im überhaupt empfehlenswerten Ausstellungskatalog.
 
Die Texte von Heinz Stahlhut, Weibel und Wellmann entwerfen ein breites historisches Panorama der Gattung und seiner Verästelungen, wie es die Ausstellung allein nicht vermitteln kann. Doch es wäre Kleinkrämerei, der Auswahl einen Mangel an Arbeiten mit Licht und Klang – durchaus wichtigen Elementen der historischen Kinetik – vorzuwerfen. Und wenn einmal am Tag Michael Sailstorfers Betonmischmaschine angeworfen wird, die der Künstler zum popcornspuckenden Snackautomaten umfunktioniert hat, wird es ohnehin sehr, sehr laut. Es duftet nach Gebackenem, dazu dehnt sich die Skulptur auch räumlich aus. Sailstorfer bekennt, weniger an Kinetik denn an einer Erweiterung des Skulpturbegriffs interessiert zu sein.
 
Das passt zur einzigen nicht-aktuellen Arbeit der Ausstellung, dem Video „Der Lauf der Dinge“ (1987) von Peter Fischli und David Weiss. Sie markiert den Auftakt der Schau: Zäh dehnen sich Schaumwolken aus, Autoreifen kommen ins Rollen, Bretter kippen, Ballons zerplatzen, ein Ereignis stößt das andere an.
 
Wie in diesem Fabrikhallendrama der Dinge betont auch der gebürtige Israeli Ariel Schlesinger die Atelier-Herkunft seiner Arbeit „Die Angst des weißen Blattes“. Auf einem niedrigen Sockel aus Farbdosen und einer Spanplatte rotieren zwei Din-A-4-Blätter in zueinander gegenläufiger Richtung. Sie schmiegen sich Umdrehung für Umdrehung so aneinander, dass die jeweiligen Kanten sich senkrecht hochstützen. Ein Pas de Deux mit Aneinanderpressen. Zu auf einer Theaterbühne herumstolzierenden und palavernden Diven werden in Elmgreen & Dragsets Video „Drama Queen“ berühmte Skulpturen wie Alberto Giacomettis „Schreitender Mann“, Sol LeWitts „Four Cubes“ oder Jeff Koons’ „Rabbit“.
 
Den stillen Kontrast bietet Robert Bartas Skulptur „Timemachine“, die eine Art paradoxer Antithese der Kinetik verkörpert. Auf einem großen, sich waagerecht drehenden Rad fährt eine Miniaturlokomotive, die im Gegensinn auf den Schienen am Plattentellerrand entlangfährt. Das Resultat ist ein verflixter Stillstand im Spielzeugland.
 
Thomas Baumann präsentiert eine silbrige Stoffhülle, in der elektrisch ein- und ausfahrende Antennen stecken. Je nach gespanntem oder zerknülltem Zustand der Folie an der Wand sind „mimische“ Faltenwürfe und „gestische“ Umrisse auszumachen: „Wallsilver“ (1999/2007) markiert den Übergang des Parcours zur Interaktivität, ein Moment, das Johanna Smiateks Spiegel mit Vibrationsalarm prägt. Dessen Titel „Paris“ bezieht sich auf das Schönheits-Urteil des gleichnamigen Hirten aus der griechischen Mythologie. Wer an den Spiegel herantritt, blickt in ein zitterndes Ebenbild. Wieder nicht gewonnen.
 
Die aufwändigste, vielleicht fesselndste Arbeit hat Julius Popp im Kolbe-Neubau installiert: Aus runden Spiegelfacetten besteht seine Skulptur „bit.reflection“, mit der die Kompilation das Internetzeitalter erreicht (und dann doch den Kinetik-Aspekt Licht einbringt). Die gut hundert schwenkbaren Spiegel sind an einen Computer angeschlossen, der im 20-Sekunden-Takt Begriffe aus dem Netz fischt, die statistisch zur Zeit am häufigsten vorkommen. Mithilfe eines Scheinwerfers schreiben die Spiegel lichtpunktweise Wortsternbilder an die Wand im Kolbe-Museum. Romantisch!