Bildband zu Guy Bourdin

Keine Herrenwitze

Es war eine gute Weile lang ganz in Ordnung, nicht mehr an Guy Bourdin zu denken. Es schien einfach nicht mehr zeitgemäß, wie er halb nackten Frauen die Gliedmaßen verdreht hatte, wie er sie wie Schaufensterpuppen zurechtgebogen hatte, bis sie seine grellen, aufgesexten Fantasien wiedergaben, die der Fotograf dann zu Modestrecken für die „Vogue“ oder zu Werbeanzeigen ausarbeitete.

Seine Zeit war die der stilisierten Exzesse, der Künstlichkeit, der mehrfarbigen Lidschatten. Der Preis für perfekte knallrote Lippen hieß damals noch: nicht essen, nicht trinken, nie küssen. Bourdins Frauen lachen nicht. Es ist nicht einmal mit Sicherheit zu sehen, ob sie leben – es quillt manchmal rote Flüssigkeit aus ihren Mündern. Französischer Nagellack natürlich. Guy Bourdin stand so dermaßen für die überdrehten, kalten 80er-Jahre (was gar nicht stimmt, denn er entwickelte bereits in den 60ern seinen Look, der die 80er prägen sollte), dass die verstrubbelte, supernatürliche, ungeschminkte SchwarzWeiß-Ästhetik der Calvin-Klein-Anzeigen anschließend wie eine ganz selbstverständliche Gegenbewegung erschien. Guy Bourdin starb vor mehr als 20 Jahren im Alter von 62. Und jeder hätte gewettet, dass sein Frauenbild ebenfalls nicht überlebt.

Doch jetzt hat der Verlag Steidl sein vergriffenes Werk „A Message for You“ in einer überarbeiteten Version neu herausgegeben, und der Effekt ist erstaunlich. Es scheint kaum noch Anlass zu geben für den feministischen Furor, den er zu Lebzeiten auf sich zog. Zwei Dutzend Jahre Popkultur können eine sehr besänftigende Wirkung haben, mag es an der postmodernen Mehrfachbrechung liegen oder einfach daran, dass das Betrachten von immer mehr Bildern abhärtet.

Kurioserweise haben diese hyperartifiziellen Inszenierungen heute den Charakter von höchst authentischen Dokumenten. Bourdin hatte keine Programme wie Photoshop, er versuchte damals tatsächlich noch von Hand, das Meer dunkelblau zu färben.

Gleichzeitig hat seine eigenwillige, surreale Bildwelt eine bemerkenswerte Haltbarkeit, bis heute. Er ist der feinere, geistreichere David LaChapelle, und die Stars der Gegenwart wie Tim Walker brauchen viel aufwendigere Requisiten für ähnliche Effekte. Manche von Bourdins Bildern beschreiben Situationen, aus denen David Lynch einen ganzen Film machen würde. Und die damals noch als extrem aggressiv empfundene Sexiness – geschenkt.

Der Blick wird stattdessen frei für seine faszinierenden künstlerischen Mittel und für einen ziemlich scharfen, subtilen Humor, der ein paar Jahrzehnte lang als Herrenwitz missverstanden wurde.

Guy Bourdin: „A Message for You“. Auf Englisch. Steidl, 312 Seiten, 48 Euro