Gruppenbild: Kater und Kapitalismuskritik

 

Müssen wir das Bild unbedingt vor der Mumu von dem Zipp machen?“ fragt Björn Dahlem eher rhetorisch, denn zumindest für ihn steht die Antwort fest: Er möchte nicht vor der Collage seines Kollegen posieren, auch wenn die Stühle schon zurechtgerückt sind, die Szene schon eingeleuchtet ist. Die Wandinstallation „...istan passiert“ von Thomas Zipp zeigt eine sehr leicht bekleidete Frau in pornografischer Pose, zwischen ihren Schenkeln hängt das gerahmte Bild einer behaarten Scham. Grundsätzlich schätze er Zipps Arbeit, aber dies sei ihm als Hintergrund zu vordergründig, sagt Dahlem und tritt aus dem Bild. Kurze Verwirrung. Der Fotograf drängt, der Künstler bleibt stur, die Künstlerin Lisa Junghanß schlägt als Kompromiss etwas „Neutrales“ vor.
Nur: Ein neutraler Hintergrund ist nicht leicht zu finden. In der Galerie PaceWildenstein, Filiale 22nd Street, stehen zwar noch Dutzende Helfer auf Leitern, ein kleines Nutzfahrzeug surrt durch die Räume und über allem liegt der Staub von Monica Bonvicinis Skulptur „2 Tonnen Alte Nationalgalerie“: Reste der ehemaligen Fassade, die als Schutthaufen auf dem Boden gerade von Herrn Wildenstein persönlich neu arrangiert wurden. Aber an den Wänden hängt bereits dicht an dicht, was auch gut das Thema für eine Museumsschau sein könnte: Kunst aus dem Berlin der Jahrtausendwende. Denn um das Jahr 2000 herum, so zumindest die These dieser Show, verwandelte sich Berlin von einem anarchischen Nährboden der Künste zu einer gut geölten Kulturmaschinerie. „Aus Maschenmode wurde die Galerie Guido W. Baudach“, sagt Martin Ebner.
Mit Ariane Müller und Hans-Christian Dany (wegen Professur beim Fotoshooting verhindert) gibt Ebner das Magazin „Starship“ heraus. Für die Ausstellung in New York haben sie eine hübsche Best-of-Anthologie der „early years“ gemacht, auf deren Cover sie die Richard-Hamilton-Paraphrase der ersten Ausgabe leicht verändern und damit historisieren: „Just what is it that made today’s Berlin so different, so appealing?“ heißt es nun.
Aber schon in den „frühen Jahren“ hat man alles kommen sehen. „Brauchten wir wirklich die Sarah-Lucas-Ausstellung, um daran erinnert zu werden, wie die Straßen, genauer: die Auguststraße in Mitte, vor fünf Jahren aussahen? Ja, so war das: ungeheizte, große Räume, Biertresen in den Waschräumen einer nicht mehr vorstellbaren Fabrik, unsichere Pfade durch unbeleuchtete Hinterhöfe“, schrieb Ariane Müller vor zehn Jahren. Die Nostalgie setzte bereits ein, als der Umbau des Viertels noch im vollen Gange war.
Es ist natürlich ein interessanter Zeitpunkt, den sich die Galerie und die verantwortliche Kuratorin Birte Kleemann für diese Ausstellung ausgesucht haben. In den Gesichtern von Berliner Vernissagenbesucherkünstlern wollen Beobachter neuerdings Angst und Verunsicherung lesen, und im Wirtschaftsteil der „New York Times“ wurde sogar über das Schicksal des Superdealers Larry Gagosian spekuliert. Die typische Berliner Skepsis, eine
Mischung aus Kater vom Vorabend und Kapitalismuskritik, wirkt heute wieder visionär.
Sie ist auch beim Fototermin zu ahnen. John Bock ließ von vornherein absagen, Monica Bonvicini ist da, aber will nicht, Daniel Pflumm hat es sich kurzfristig auch anders überlegt. Verweigerung ist für Berliner Künstler eben kein Gesellschaftsspiel, sondern
Arbeitsgrundlage. Schon nach wenigen Minuten haben sich mindestens vier Künstler eine Zigarette angezündet (eigentlich streng verboten!). Und Dahlem bedankt sich beim Fotografen höflich für das Neuarrangement und verteilt Flyer für die Aftershowparty.