Art Basel/Miami Beach 2010

Fräulein Wurst unter Palmen

Eigentlich wäre dieses das zehnte Jahr Art Basel/Miami Beach, wenn im Herbst 2001 nicht das World Trade Center und damit alles, was in der westlichen Welt Spaß und wirtschaftlichen Erfolg versprach, attackiert worden wäre. Die erste Ausgabe des US-Ablegers der Art Basel musste damals auf 2002 verlegt werden, man ist also krisenerprobt, bevor es überhaupt losging. Nach dem erneuten Crash 2008 und einem eher mauen 2009 wird die Stimmungslage seismografisch beobachtet – und die Lage scheint nicht schlecht zu sein: Es gab 20 Prozent mehr Bewerbungen als im vergangenen Jahr, 200 Galerien stellen aus, die Hotels in Miami Beach sind wieder ausgebucht, die offizielle Städtepartnerschaft zwischen Miami und Basel ist endlich besiegelt.

Die Messeleitung unter Marc Spiegler und Annette Schönholzer versucht, das Profil durch neue Formate weiter zu schärfen. In diesem Jahr gelingt das vor allem auch im Sektor „Art Positions“: Junge Galerien zeigen hier nur eine Arbeit, zum Beispiel Cherry and Martin aus Los Angeles, die mit einem Film von Brian Bress vertreten sind, ein skurriles und etwas unheimliches Road Movie mit Effekten, die an Kinderfernsehen erinnern. In aller Regel werden hier aber Skulpturen gezeigt, gerne bewegliche, wie die Windmaschine von Hector Zamora bei Labor aus Mexico City.

Überhaupt ist, wenn man schon von einem Trend sprechen will, vielleicht der Auftritt der Skulptur die deutlichste Tendenz. Während im letzten Jahr das Tafelbild überwog, steht diesmal auch einiges herum. Neugerriemschneider aus Berlin verzichtet fast ganz auf Wände und hat damit einen der spektakulärsten Auftritte: Weiße mumienhafte Figuren von Pawel Althamer bevölkern den Stand, die obligatorische Sitzgelegenheit stammt von Rirkrit Tiravanija, die Lampen von Jorge Pardo – hier ist alles Kunst, was man braucht.

Auch Jonathan Meese, der hier seit Jahren fast schon kultisch verehrt wird, zeigt im Museum MOCA Miami Bronzeplastiken, kleine Figuren und einige Modelle für Räume und Bühnenbilder. Wobei die Vernissagegäste häufig ähnlich modelliert wirkten wie die gelegentlich etwas klumpigen Statuen von Isis, Napoleon oder Fräulein Wurst.

Die Form des „Art Kabinett“ bewährt sich auf dieser Messe: In extra ausgewiesenen Bereichen innerhalb ihres Standes präsentieren ausgewählte Galerien das Werk eines einzelnen Künstlers – eine Mini-Soloshow inmitten des größeren Programms der Galerie. Die 303 Gallery zeigt Valentin Carron mit drei sehr unterschiedlichen Arbeiten, doch ergibt sich in der Konzentration und im direkten Bezug der Arbeiten zueinander daraus ein genaueres Bild als im Modus einer Rundumschau. Johann König konnte sein Kabinett mit Arbeiten von Nathan Hylden schon am ersten Tag komplett verkaufen.

Die Konzentration auf einzelne Künstler unterstützt auch das Konzept der Sektion „Art Nova“ – fünfzig Galerien zeigen auf kleineren Ständen höchstens drei Künstler mit Werken aus der jüngsten Vergangenheit. Dass das keine Einschränkung, sondern eine Chance bedeutet, sieht man zum Beispiel bei Wentrup deutlich, der mit Matthew Hales Collagen und dem jungen Schweizer Bildhauer David Renggli einen überzeugenden Stand präsentiert.

Luis Campaña hat sich das Konzept freiwillig selbst zum Prinzip gemacht und zeigt mit einer Wandgestaltung von Seb Koberstädt, die aus Bier und Kakao besteht und auch so riecht, und darin kunstvoll arrangierten Arbeiten von Matthieu Ronsse, geboren 1981 in Kortrjk –optisch geschlossen und damit einer der besten Stände. Besonders mutig und radikal zeigt Guido Baudach an einem Gemeinschaftsstand mit Harris Lieberman eine Einzelpräsentation von Thomas Zipp: In Amerika vor allem als Maler bekannt und in Miami als solcher in mehreren Privatsammlungen vertreten, wird er hier als Installationskünstler eingeführt mit einem Puppen-Arrangement, das einer Traumsequenz ähnelt – zerschlagene Eier auf nackten Gesäßen, Hände statt Gesichter, vertieft in ein Fingerspiel mit roten Fäden, in einem holzvertäfelten, gediegen modernistischen Salon.

Die großen Blue-Chip-Galerien überraschen dagegen wenig, wie immer ist bei Jay Joplings White Cube ein Pillen- oder Edelstein-Setzkasten von Damien Hirst groß präsentiert, der Rest setzt sich – nach dem Prinzip „von jedem eins“ – aus seiner Künstlerliste zusammen, bei Hauser & Wirth steht ein schokoladiger Popo-Zwerg von Paul McCarthy am Eingang, Gagosian hat knallfröhliche Roy Lichtensteins im Gepäck. Die großen Sammler verlassen sich auf bekannte Namen, dabei gibt es auf dieser Messe Entdeckungen zu machen, die erstaunlich oft aus Berlin kommen – die Fotografien von Kathrin Sonntag zum Beispiel, 1981 geboren und vertreten von Joanna Kamm.

Im neunten Jahr der Messe also gibt es ambitionierte und mutige Präsentationen. Das ist vielleicht das beste Zeichen, ungeachtet der Umsatzkurven, die sich in den nächsten Tagen erst noch abzeichnen.

Die Art Basel/Miami Beach läuft noch bis zum 5. Dezember