Die unendliche Verschmelzungskraft der malerischen Geste: Albert Oehlen lässt in Berlin zwei Werkphasen aufeinanderprallen.

 Eine seltsame Präsentationsstrategie hat diese Ausstellung in Max Hetzlers temporären Ausstellungsräumen im Berliner Stadtteil Wedding: Bilder aus zwei verschiedenen Jahren – 1991 und 2008 – teilen sich einen Raum, sind aber so gehängt, dass sie nicht gleichzeitig betrachtet werden können, nämlich auf beiden Seiten von Stellwänden, die in der Galerie verteilt wurden. Die Bilder von 2008 hängen auf der einen, die von 1991 auf der anderen Seite. Das hat den Effekt, dass man eine bedeutende Verbindung vermutet: Wir werden darauf gestoßen, doch zugleich enthält man sie uns vor.
Die neuen Bilder sind strukturell sehr einfach: spanische Werbeplakate, sehr proletarisch, direkt und schrill, auf großen, weiß grundierten Leinwänden, überpinselt mit Ölfarbe. Wenige, klar hervortretende Akzente. Große Teile der Plakatflächen bleiben frei von Farbe. „Es geht mir allein darum, schöne Gemälde zu schaffen“, sagte Oehlen in einem Interview, das im Katalog nachzulesen ist. Oehlen spricht über die Verwandlung von trivialen Materialien, nach dem Motto: Was braucht man schon? Soziologie, Sottisen, Witze, Kalauer – gut möglich, dass nichts davon eine große Rolle spielt, doch alles wird verwandelt in Malerei. Die Frage ist nur: Wie stark greift man ein, verwandelt man?
Im Prinzip ist der Zusammenhang banal: Die früheren Gemälde enthalten die gleichen Schmierereien wie die späteren, was kaum überrascht, der Künstler ist ja auch derselbe. Die späteren Arbeiten wirken vergleichsweise leer, während in den früheren viel passiert; trotzdem ist klar, dass hier kein plötzlicher Stilwechsel stattgefunden hat, zumal Albert Oehlen durchaus schon sehr unterschiedliche Stile ausprobiert hat.
Worauf will die Ausstellung also hinaus? Ich weiß es nicht. Es muss wohl etwas mit seiner Vorliebe für Experimente und Provokation zu tun haben, die sich wie ein roter Faden durch Oehlens Werk zieht, seit er in den 80er-Jahren erstmals international in Erscheinung trat. Es ist, als sei es ihm schon immer darum gegangen, etwas zu erschaffen, das als Bild funktioniert, dabei aber nie in erster Linie auf das Visuelle oder allein auf Schönheit abzielt. War sein Stil zu Beginn seiner Karriere vor allem rüpelhaft-linkisch, so kam in den frühen 90er-Jahren eine neue Ernsthaftigkeit hinzu: Das Aggressive seiner Kunst verband sich mit traditionellen malerischen Werten.
Dinosaurier, Hitler, menschliche Gebisse: drei von vielen Motiven Oehlens in den 80ern. Seine Bilder waren gepinselte Comics, leicht, wohldosiert, eine Art Cartoon-Expressionismus für die Wegwerfgesellschaft. Der schroffen, zynischen Bildsprache lag eine abstrakte Struktur zugrunde, Oehlens Pinselführung war ungeschliffen, aber sehr feinfühlig. Nach ein paar Jahren dann wurden seine Abstraktionen graziler, die Formen fragmentarischer.
Die 1991er-Bilder dieser Ausstellung markieren den Wendepunkt. Sie halten wiederholter Betrachtung stand, wirken immer wieder anders. Jedes der Bilder ist dicht geschichtet. Es gibt viel schummriges Licht. Das Verfahren ist klar: Formen bilden, Formen verschleiern. Aber die Wirkung, die emotionale Essenz der Bilder, ist subtiler. Am Ende steht jedes Mal ein formal stimmiges Ganzes, eine glaubwürdige Balance aus hell und dunkel, aus abstrakten wie figurativen Episoden und einer einzigen großen Bewegung.
Wenn man sich mit Malerei auskennt, kann man die Konstruktion des Raumes goutieren. Wenn nicht, kann man auch einfach denken: Was für ein Durcheinander! Für niemand aber ist zu übersehen, wie lus­tig die Bilder sind – die scherzhaften Formen und die willkürlichen Verhunzungen wunderschöner Stellen durch comic­artige Elemente (die diese Stellen am Ende sogar besser und stärker machen).
Wer jede Form von Sentimentalität in der Malerei als passé ansieht, schätzt die widerspenstige Welthaltigkeit dieser hochgradig abstrakten Bilder, während es dem Ästheten angesichts der unendlichen Verschmelzungskraft von Albert Oehlens malerischen Gesten schwindelt, die ihr Material zu abstrakten Formen erheben, anstatt sie darauf zu reduzieren. Was sieht man? Witze über Inhalt vielleicht, Witze über Nihilismus, Schönheit, die den Sieg über hämische Punkgesten davonträgt? Selbst wenn es wirklich nur Witze sind – Struktur und Rhythmik konfigurieren sich in jedem Bild auf sehr überraschende Weise neu. Wie es überhaupt mehr um die Überraschung zu gehen scheint als um den Humor.
Die neuen Bilder vermitteln das Gefühl von hohem Tempo. Tatsächlich könnten sie an einem Tag entstanden sein, und zwar alle, nicht nur eines. Langsame Bilder, schnelle Bilder, 1991 und 2008: Der Berührungspunkt scheint in der Willkürlichkeit, der Pervertierung zu liegen, in der grundlosen Abweichung. Das ergibt Sinn, wenn man die Geschichte dieses Künstlers kennt. Als Betrachter – und ganz sicher, wenn man großartige Gemälde schätzt – lassen uns die neuen Bilder immer ein wenig außen vor. Oehlen provoziert, er konfrontiert uns mit modernem Leben, moderner Sensibilität, modernem Skeptizismus. Als würde er uns zurufen: Leckt mich!, und uns zugleich nur das Allerbeste wünschen.

Albert Oehlen „1991 2008“, Max Hetzler, 1. November bis 20. Dezember 2008