Berlinische Galerie

Demokratiebedarf

Man muss Klaus Staeck nicht unbedingt Fragen zuwerfen, um den geübten Rhetoriker beim ausgiebigen Extemporieren zu erleben. Das zeigte sich bei der Pressekonferenz zur ersten Berliner Retrospektive des Plakatkünstlers in der Berlinischen Galerie. Was in Staecks Stasi-Akte steht, stimmt mit Sicherheit: Die Herren der Ost-Berliner Akademie der Künste seien dem rhetorisch Versierten nicht gewachsen, stellte der Bericht nach einer Diskussionsrunde 1988 mit Staeck fest. Heute ist er selbst Präsident der wiedervereinigten Akademie.
 
„Ich liefere Demokratiebedarf“, erläutert Staeck seine Rolle als politischer Künstler, der in Berlin übrigens so gut wir gar nicht vorkam. Auch zu Mauerzeiten gab es kaum Staeck-Ausstellungen. Die Hommage „Schöne Aussichten“ schließt diese Lücke. Vieles ist allerding bekannt, was an der breiten Plakatwand in der Ausstellung prangt. „Deutsche Arbeiter! Die SPD will Euch Eure Villen im Tessin wegnehmen“ (1972). „Ein Volk, das solche Boxer, Fußballer, Tennisspieler und Rennfahrer hat, kann auf seine Uniwersitäten ruhig verzichten“ (1997). Es gibt geniale Floretthiebe gegen Mächtige und Missstände und natürlich auch Wohlfeiles, Plattes.
 
Kaum liegt ihm das Dreidimensionale, Skulpturen und Multiples, die selten, aber hier zu sehen sind. Offenbar braucht Politkunst das klare Feindbild. Nennt Staeck auf den Plakaten meist Ross und Reiter (die CDU, Franz Josef Strauß, Shell oder Coca Cola), zielt er hier ins Ungefähre, wird unscharf, sogar plump wie der programmatische Sack, auf dem „Sand fürs Getriebe“ geschrieben steht (1991). Oder: Eine mit Zündkerzen besteckte Geburtstagstorte „100 Jahre Automobil“ besteht aus einer ausgesägten Baumscheibe (1991). Mein Freund, der Baum ...
 
1968, zum Auftakt einer langen Reihe von Klagen und Prozessen, erfährt das Frühstücksbrettchen mit Schlagring und „Sieg-Heil“-Schriftzug die richterliche Sanktion: „Kunstobjekt mit satirischer Mahnung“. In Folge wird der Jurist Staeck in über 40 Prozesse verwickelt.
 
Parallel zu Staeck wird John Heartfield (1891-1968) gewürdigt, dem die Nazis mehr als eine Prozessflut an den Hals wünschten. 1933 flieht der glühende KPD-Anhänger und Schöpfer bissiger Fotomontagen wie „Adolf, der Übermensch“ und „Der Sinn des Hitlergrußes“ vor den Faschisten nach Prag, das er 1938 in Richtung London verlassen muss. Zunächst als „feindlicher Ausländer“ in England interniert, arbeitet Heartfield ab 1943 mit Arbeitserlaubnis als Buchgestalter und kehrt 1950 nach Deutschland zurück – in die DDR.
 
Kennengelernt hat Klaus Staeck seinen geistigen Ziehvater nie. 1956, als dessen späte künstlerische Rehabilitation in der DDR einsetzt, geht der 18-jährige in Bitterfeld aufgewachsene Schüler gerade in den Westen.
 
Die Heartfield-Ausstellung ist keine Dada-Schau. Aus der Zeit vor den 20er-Jahren ist weniges zu sehen, immerhin aber die Skulptur „Der deutsche Spießer“ (1920), eine Allegorie des Ersten Weltkriegs. Heartfield (eigentlich Herzfeld) schuf sie zusammen mit George Grosz. Beide haben ihre Namen anglisiert als Protest gegen die Englandhetze in Deutschland.
 
Passend zu Staeck legt die Ausstellung den Fokus auf Heartfields explizit politische Schlagrichtung ab den 20er-Jahren. Allerdings: als wichtiges Bindeglied integriert die Kuratorin Freya Mülhaupt etliche Buchumschläge, ein Genre, in das Heartfield die Fotomontage einführte. „Das bringt ihn weg von der verwirrenden Kleinteiligkeit der Dada-Montagen“, erklärt Mülhaupt.
 
Zwischen 1930 und 1938 montiert Heartfield zahllose Titelseiten der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung. Hitler zieht mit der Gießkanne „Deutsche Eicheln“ mit Pickelhauben und Stahlhelmen groß (1933). „Das Tausendjährige Reich“ wird zum wackligen Kartenhaus mit Nazigrößen als (Spitz-)Buben. Einige Motive tauchen zweimal auf, gedruckt und als Klebe-Originale. Ein rarer Werkstattblick, aber auch eine Verzerrung, weil Ästhetisierung des Heartfield-Werks, das der Künstler selbst als zweckgebunden ansah.
 
Auch das verbindet Heartfield und Klaus Staeck. Politisch trennt sie Welten (wenn man das epochenübergreifend vergleichen kann). Heartfield attackierte die SPD seiner Zeit, Staeck bekennt sich nach wie vor zu dieser Partei. Heartfield ging in die DDR, Staeck haute ab. Tiefmelancholisch sind die Fotos, die er zwischen 1980 und 1991 im heruntergewirtschafteten Bitterfeld machte. Überhaupt überzeugt das fotografische Werk in der Staeck-Retro besonders, weil es die subtile Seite betont. Hier guckt einer hin, staunt – und der Rhetoriker schweigt einmal.
 

Klaus Staeck: "Schöne Aussichten" / John Heartfield: "Zeitausschnitte", bis 31.8.2009 in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, Mi-Mo 10 bis 18 Uhr