Review: Ai Weiwei in Berlin

Brachialer Mainstream

Ai Weiwei in Berlin: Diese Ausstellung wurde vorbereitet wie ein Staatsbesuch, mit Besuchen in Peking, Pressekonferenzen und einer beispiellosen medialen Offensive des Künstlers, der sich nach längerem Schweigen wieder mit zahlreichen Interviews zur Wort meldete (auch in der aktuellen Monopol). Die neue Kulturstaatsminsterin Monika Grütters, die abends die Ausstellung eröffnen wird, nutzte am heutigen Mittwoch den Anlass zu einem klaren politischen Zeichen: "Ich fordere die chinesische Regierung auf, Ai Weiwei endlich wieder Reisefreiheit zu gewähren", sagte sie.

Die Kunst des abwesenden Ai Weiwei setzt den deutlichen Worten klare Symbole zur Seite. Schon in der Eingangshalle hängen  Überwachungskamera aus Marmor, die denen nachgebildet sind, mit denen die Polizei Ais Atelierwohnung in Peking beobachtet. Die Skulptur aus 150 Fahrrädern, die dort von der Decke hängt, erinnert an einen unfair zum Tode verurteilen Radfahrer. Der Lichthof im Gropius-Bau wird komplett von hölzernen Hockern bedeckt, wie sie Ai Weiwei auch bei seiner Arbeit für den deutschen Pavillon der Venedig-Biennale 2013 verwendet hat.

So sind auf den ersten Metern der Schau die wesentlichen Strategien von Ai Weiweis Kunst bereits entfaltet. Zum Einen greift er politische Missstände auf, mit einfachen Werken, die die Geschichte, die dahinter steckt, illustrieren – zu dieser Gruppe gehören neben der Fahrrad-Skulptur die Arbeiten im Kontext des Erdbebens in Sichuan: Die viel zu schwachen Armierungseisen, die den Einsturz vieler öffentlicher Gebäude verursachten, werden zu Skulpturen gebogen oder in Marmor nachgebildet. Die zweite Gruppe von Arbeiten verarbeitet Objekte aus Chinas Vergangenheit zu Kunstwerken und erinnert damit an die Tradition, wie die Vasen aus der Zeit der Han-Dynastie, die er mit Autolack überzogen hat – sieht sehr schick aus – oder die in Marmor nachgebildeten alten Türen, die er zu einem Haufen gestapelt hat.

Die dritte, zur Zeit stark wachsende Werkgruppe beschäftigt sich mit den Repressionen, denen Ai Weiwei in den letzten Jahren ausgesetzt war: In der Ausstellung kann man nicht nur eine Nachbildung der mit Schaumstoff ausgeschlagenen Zelle sehen, auch die Handschellen liegen als Replik in kostbarem Stein in irgendeiner Vitrine. Die Wände einiger Räume sind mit den Schuldscheinen tapeziert, die Ai Weiwei ausgab, als zahllose Menschen anboten, ihm Geld zur Begleichung seiner angeblichen Steuerschuld zu leihen. Ausgestellt sind der Schutt von seinem willkürlich zerstörten Atelier in Shanghai und das Büromaterial, das während seiner Inhaftierung konfisziert wurde. Und auch das Video "Dumbass" ist zu sehen, in dem Ai Weiwei zu den Heavy-Metal-Gitarren von Zuoxiao Zuzhou röhrt: Es übersetzt das Setting der Inhaftierung in die Sprache des Popvideos, mit dramatischer Lichtsetzung und Ai Weiwei in Großaufnahme, mit leicht bekleideten Mädchen an der Seite und am Ende mit rasiertem Kopf als Drag Queen.

Vielleicht ist dieses Video ein Schlüssel zu der Figur des Ai Weiwei, wie sie heute auftritt: Als Kunst sind seine Arbeiten oft stereotyp und geradezu primitiv. Aber das stört ihn nicht. Um seine Ziele zu erreichen, muss er nicht subtil sein. Ai Weiwei in Berlin ist brachialer Mainstream. Dem Künstler würde man wünschen, dass er sich bald von seiner eigenen Biografie wieder lösen kann. Die Freiheit, die er fordert, wäre dazu wahrscheinlich eine wichtige Voraussetzung.

Martin-Gropius-Bau, Berlin, 3. April bis 7. Juli 2014

Ai Weiwei stellt exklusiv in der Aprilausgabe von Monopol seinen Nachbau der Erdhöhle vor, in der er als Kind unter Ratten leben musste. Plus: Ein Hausbesuch in Peking