Anika Meier über die Relevanz von Kunstblogs

"Blogger sind die wichtigeren Journalisten"

Foto: Anika Meier
Foto: Anika Meier

"Blogger sind die wichtigeren Journalisten", sagte der Bildhauer Erwin Wurm, als er er einer Runde ausgewählter Kunst- und Lifestyleblogger Zutritt zu seiner zu diesem Zeitpunkt noch im Aufbau befindlichen Ausstellung "Bei Mutti" in der Berlinischen Galerie gewährte.

"Blogger sind die wichtigeren Journalisten", sagte der Bildhauer Erwin Wurm und meinte es vielleicht auch so. Jedenfalls gewährte er einer Runde ausgewählter Kunst- und Lifestyleblogger Zutritt zu seiner zu diesem Zeitpunkt noch im Aufbau befindlichen Ausstellung "Bei Mutti" in der Berlinischen Galerie. Der Österreicher hat keinen ausgeprägten Mutterkomplex wie Jonathan Meese. Er freut sich einfach nur bei Mutti in Deutschland zu sein, die ihre Grenzen aufmacht und ihn damit ein offenes Europa kennenlernen lässt, das er als Kind der Nachkriegsgeneration bisher nicht kannte.

"Herr Wurm, nochmal kurz zu den Bloggern. Wichtiger als Journalisten sind Blogger nun sogar schon, sie kommen wie darauf?", wurde er natürlich gefragt. "Ja", antwortet der Künstler, "ein Blogger erreicht mehr Menschen auf einen Schlag als ein Journalist, der für eine Tageszeitung schreibt." Anstelle von "High five, Baby, endlich in der Kunstwelt angekommen! " ein kurzer Aufschrei. In einem Blog. Annika von Taube wundert sich in ihrem Blog "Blitzkunst": Eine gesonderte Veranstaltung für Blogger, fast eine Woche vor der offiziellen Pressekonferenz, was soll das bitte? Warum Blogger nicht einfach zum Pressetermin einladen? Empörung gepaart mit der Sorge, eine Sonderbehandlung könne die Relevanz von Kunstblogs eher mindern als erhöhen.

Das Thema Blogger gegen Journalisten, es sorgt auch in Runde 347 trotz Ermüdungserscheinungen auf beiden Seiten noch für einen Reflex. Blogger kontern meist aus der Defensive, da der Journalist mit einem renommierten Medium im Rücken sie als den unterlegenen Gegner nicht fürchtet. Der Journalist versteht sich als Kunstkritiker alter Schule, der Blogger macht irgendwas in diesem Internet, also alles nicht weiter von Bedeutung. Selbst wenn ein Blogger irgendwann einmal für ein großes Nachrichtenmagazin oder für eine Zeitung schreibt und arbeitet, haftet das Wort an ihm wie ein Stück Kaugummi an einer Schuhsohle. Sascha Lobo, Blogger und Journalist. Ronja von Rönne, Bloggerin und Welt-Redakteurin. Bloggen hat offenbar nichts mit Journalismus zu tun, sonst müsste man es nicht gesondert aufführen.

Und jetzt stellt sich auch noch ein Künstler vor eine Gruppe Blogger und begründet deren Wichtigkeit mit Reichweite und nicht mit Inhalten. Nicht mit Qualität, sondern mit Quantität. Nicht mit Beispielen von Autoren aus der Runde, die sich als bloggende Kunstkritiker womöglich hervorgetan haben. Da kann man sich schon mal kurz wundern und den Künstler fragen: "Ja, was lesen Sie denn eigentlich?" Lesen, gab Wurm zu, das sei nicht mehr so seins. Je älter er werde, desto weniger lese er. Wurm ist Jahrgang 54, man glaubt ihm, dass er als Künstler nicht den ganzen Tag vor Twitter, Facebook oder dem Feedreader hängt, um den Newsfeed stündlich leer zu lesen. Sein Tagesablauf sähe statt vielfältiger Lektüre konzentriertes Arbeiten im Atelier vor.

Ein anderer, Jerry Saltz, der vermeintlich wichtigste Kunstkritiker der westlichen Welt, liest Blogs. Das hat er vor ein paar Tagen auf Instagram verkündet. Er liest sie nicht nur, er liebt sie sogar. Und nicht nur eins, sondern eine ganze Menge. Sein liebstes: "Hyperallergic". Eine Begründung für seine Vorliebe hat er auch parat:

 

Einen kurzen Moment beschleicht einen ein ungutes Gefühl. Warum muss ein Kunstkritiker betonen, dass er Blogs, noch dazu eine ganze Menge, liest und mag? Ist das so abwegig? Wenn es wenigstens um Strickmuster oder um Häkeltiere ginge. Leute, hört zu, Häkeltiere, großartig! Wisst ihr, ich häkele, um mich nach einem dieser harten Tage als Kritiker wieder auf das Wesentliche besinnen zu können. Die sanften, gleichmäßigen Bewegungen der Häkelnadel helfen mir dabei, zur Ruhe zu kommen. Das wäre eine Geschichte, die der wichtigste Kunstkritiker der westlichen Welt wie ein Bekenntnis auf Instagram inszenieren könnte. Aber vielleicht ist es auch gut, richtig und wichtig, dass ein namhafter Kunstkritiker einmal laut sagt, dass er nicht nur sich selbst im "New York Magazine" liest, alles von Hans Ulrich Obrist und Teju Cole in der "New York Times". Jerry Saltz ließ angesichts der Begeisterung seiner Follower sogar einen zweiten Beitrag zum Thema Kunstblogs folgen und postete eine Liste mit weiteren Blogempfehlungen.

 

Seine Liste besteht, wie nicht anders zu erwarten, aus englischsprachigen Blogs und Online-Auftritten von Magazinen. Einst sagte er nämlich, wer in der Kunstwelt gelesen werden möchte, muss auf Englisch schreiben. Deutsche Kunstblogs hat er folglich nicht auf dem Schirm. Und Kunstblogs im deutschsprachigen Raum, in Größe, Qualität und Output einem Multiautoren-Blog wie Hyperallergic vergleichbar, gibt es gar nicht. Die deutsche Kunst- und Kulturbloggerszene ist überschaubar. Blogs, die gut liefen und rezipiert wurden, wie "Donnerstag. Weblog für Kunst & Danach" existieren nicht mehr, weil die Autoren jetzt beispielsweise als Redakteure für renommierte Kunstmagazine arbeiten, oder sie sind eingeschlafen, wie "Castor & Pollux", ein Blog für zeitgenössische Kunst aus Berlin, weil der Autor im Berufsleben fernab der Kunstwelt angekommen ist. So gut wie alle anderen müssen sich ständig anhören, dass es in Kunstblogs um die Kunstkritik nicht gut bestellt ist. Im Anschluss an eine Blogparade zum Thema Besuchermacht hat der Direktor des Museum Marta Herford, Roland Nachtigäller, ein "Pamphlet über die Augenhöhe" verfasst. Zuvor hat er sich durch stapelweise Blogbeiträge gelesen ­– Museumsdirektoren drucken das Internet gelegentlich noch aus ­–, dabei ist ihm so einiges in der deutschen Kulturbloggerlandschaft aufgefallen: Alle höflich, alle anerkennend, niemand haut auf den Tisch, niemand widerspricht leidenschaftlich, alle haben sich lieb. "Bin ich zu flauschig, mag sein, aber ich bevorzuge konstruktive Diskussionen", kommentiert Bloggerin Tanja Praske den Beitrag. Die gute alte Kritik ist in Zeiten von Social Media und Blogs ein wenig in Verruf geraten. Wer Kritik übt, ist nicht konstruktiv oder steht im Verdacht einen rant geschrieben zu haben, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Vergangenen Sommer gab es in der deutschen Buchbloggerszene ein kleines Stelldichein: Literaturkritiker gegen Literaturblogger. Im Verlauf der Diskussion wurde ein Missverständnis angesprochen, das sich, liest man sich die Kommentare unter dem Pamphlet von Nachtigäller durch, auch auf Kunst- und Kulturblogger übertragen lässt. Caterina Kirsten, die über Gegenwartsliteratur bloggt, schrieb im Börsenblatt:

"Obwohl sich gerade ein Wandel in der Wahrnehmung von Literaturblogs vollzieht, kommen Blogger immer wieder in die Verlegenheit, sich und ihr Tun rechtfertigen zu müssen. Das, was sie in ihren Blogs von sich geben, habe nichts mit Literaturkritik zu tun, es fehle ihnen an Wissen und Kompetenz. Diese Vorwürfe beruhen auf einem Missverständnis: Die meisten Blogger wollen nämlich gar keine Literaturkritiker sein, sie wollen das Feuilleton nicht eins zu eins ins Netz holen. Sie wollen über Literatur sprechen – auf ihre Weise. Wollen zur Lektüre anregen, Fragen aufwerfen, in einen Dialog treten. Dabei verfügen sie vielleicht nicht über die Werkzeuge der Literaturkritiker – dafür aber über andere."

Nicht jeder Blogger möchte Kunstkritiker sein, Texte auf Feuilletonniveau verfassen oder als Journalist wahrgenommen werden.

Und dann ist da natürlich noch das leidige Thema Geld. Mit dem schöngeistigen Schreiben über Kunst und Literatur lässt sich bekanntlich schon als freier Autor schwerlich der Lebensunterhalt bestreiten. Noch ungünstiger ist es, ein kunstkritisches Blog monetarisieren zu wollen. Wer sollte wofür Geld bezahlen? Die Museen etwa dafür, dass man ihre Ausstellung kritisch bespricht und im Zweifel sogar davon abrät, selbige zu besuchen, weil langweilig, alles schon einmal da gewesen, unstimmiges Konzept, braucht kein Mensch? Die Kunstbuchverlage, weil man ihre Bücher bespricht und sie dann doch nicht so gut findet, weil zu teuer, wer braucht den x-ten Katalog über Max Beckmann oder noch ein luxuriöses Helmut Newton-Fotobuch? Natürlich könnten Museen und Verlage auch einfach Werbung in Blogs schalten, aber da wären wir wieder beim Thema Reichweite. Erreichen Kunstblogs tatsächlich 20.000 Leser auf einen Schlag, wie Erwin Wurm meint? Oder sind das nicht eher Lifestyle- und Modeblogs, die wie das digitale Berliner Stadtmagazin "Mit Vergnügen" die Rubrik Artvergnügen haben oder wie das Modeblog "This is Jane Wayne" die Rubrik Kultur füllen neben den Themen Mode, Musik, Print, Leben, Beauty, Event, Wohnen, Outfit und einigen mehr?

Eine Studie hat aktuell herausgefunden, wie "Artnet" berichtet, dass 44 Prozent der Millenials in den USA neue Kunst über Social-Media-Kanäle wie Instagram und Pinterest entdecken. Das bedeutet aber nicht, dass die Leute das Haus nicht mehr verlassen. Ganz im Gegenteil, 40 Prozent der Befragten gaben an, dass sie mindestens einmal im Jahr in ein Museum gehen würden und 14 Prozent sagten, dass sie es regelmäßig täten.

Vielleicht muss jetzt einfach eine Studie her, die untersucht, wie viele junge Menschen sich über Blogs informieren, wie viele Zeitungen und Magazine lesen und wie sehr sie von den so genannten Influencern in den sozialen Medien tatsächlich beeinflusst werden. Derweil gehen die Blogger, die sich um ihre Relevanz sorgen, wenn sie zu einer Bloggerveranstaltung eingeladen werden, am besten einfach zum offiziellen Pressetermin.