Bildband der Fotografin Ute Mahler

Berührend schön

Wie war das Leben in einer Gesellschaft, in der jeder Nachbar oder die eigene Ehefrau ein Spitzel sein konnte? Betrachtet man Ute Mahlers von 1972 bis 1988 in der DDR entstandenen Fotografien, die gerade im Bildband "Zusammenleben" bei Hatje Cantz erschienen sind, dann war das Leben in diesem Land überraschend frei und unbeschwert, humorvoll und lässig, ziemlich cool sogar – und berührend schön.

Für das Buch hat sie aus über 1000 dokumentarischen Aufnahmen 78 ausgesucht. Ihre Antwort auf die Frage nach Lieblingsbildern darin kommt schnell:„Alle.“ 1949 im Thüringer Berka geboren, wurde Ute Mahler in den 70ern mit Mode- und Porträtaufnahmen bekannt, regelmäßig erschien sie damit in "Sybille", einer Art Ost-"Vogue". Mit der realsozialistischen Wirklichkeit hatten die von ihr erdachten Modewelten nur wenig zu tun, Mahler war künstlerisch anspruchsvoll und nicht nur im Osten stilprägend.

Dennoch fühlte sich die ambitionierte Fotografin in ihren Auftragsarbeiten unfrei. Viele ihrer Inszenierungen – etwa ein Model auf einer Baustelle, eingesperrt in einem Käfig aus Maschendraht – wurden schon von der Redaktion vorzensiert. Gefragt nach dem Grund hieß es, Mahler wisse schon, warum. Im Geheimen arbeitete Mahler deshalb an ihrem eigenen, selbst privaten Werk und schuf damit performativ Raum für doppelte Freiheit: die der abgebildeten Menschen und ihre eigene.

Mahler ahnte damals nicht, dass ihr die Veröffentlichung dieser Bilder je erlaubt würde. Umso kraftvoller erscheinen jetzt die Aufnahmen von Freunden, Verwandten, Bekannten oder Fremden, die sie in eineinhalb Jahrzehnten aufnahm. Zu sehen: Kinder (meist lächelnd), Alte (meist glücklich), Paare (meist liebevoll), Jugendliche (meist schmollend), zu Hause in Wohnzimmern, mit Bikini und Hund im Garten (lässig), oder (leicht peinlich) als im Park stehende Gruppe junger Männer (Tassen in den linkischen Händen, wahrscheinlich Malzkaffee). Förmlich spürbar, dass es der Fotografin um das Festhalten dieses „Zusammenleben“ selbst ging. Mit manchen verbrachte Mahler ganze Tage – geduldig auf Momente unverfälschter Authentizität wartend –, andere fotografierte sie spontan auf der Straße. Erst nachdem die Situation fotografisch abgetastet war, erklärte Mahler den Fremden dann, was sie da eigentlich tat. Wirklich nebenbei entstand jedoch keines der Bilder, Fotografie bedeutete für Mahler Arbeit. Mit der Kamera unterwegs, wurde sie ganz Fotografin – sie konnte nie beides: Spazierengehen und auf Bildsuche sein.

Aufgenommen in der BRD hätten die Bilder vielleicht nicht viel anders ausgesehen. Und doch, politische Unfreiheit und limitierte Karriere- und Konsummöglichkeiten rückten Familie und Freunde in den Lebensmittelpunkt. In Mahlers Bildern jedenfalls meint man eine  besondere Herzlichkeit zu spüren.

Die Fotografin wählte für die Strecke Schwarz-Weiß-Material. Die Qualität des einzig verfügbaren Farbfilms war katastrophal. Verstärkt wird ein Eindruck der Einfachheit durch die in den Bildern getragene Kleidung: In den 70ern noch geprägt von Ordentlichkeit, in den 80ern weiße Karotten-Jeans zu kurzärmeligem All-over-Print. Auch das, in der DDR machbar, denn selbst der BRD-Popper geriet in einem Land mit begrenztem Grundartikelsortiment zum Widerstands-Symbol. 

In einem Text, der den Bildern vorangestellt ist, wirft Sybille Berg einen eigenen Blick auf Ute Mahlers „Zusammenleben“: Die 1962 in ein Weimar der DDR geborene Autorin, die 1984 in die Bundesrepublik übersiedelte, schreibt von Vergänglichkeit und abgelegter Hoffnung, von Erschöpfung, Resignation und Hass. Damit beschreibt sie aber kaum Ute Mahlers Fotografien, und man fragt sich, woher diese zwischen Verbitterung und Trauer schwimmenden Bilder kommen.

Auch Ute Mahler hat „Zusammenleben“ etwas vorangestellt – ein Bild, das eigentlich nicht zur Strecke gehört: brustbehaarter Mann Werner mit lächelndem Baby Paul im Arm, sie selbst ist mit Fuß unten rechts im Bild (1972). „Ich hatte das Gefühl auch etwas von mir zeigen zu müssen.“ Dabei öffnet sie doch mit jedem Bild – wie Sybille Berg in jedem Text – eine Tür in ihre eigene Welt.

Ute Mahler „Zusammenleben“, mit einem Vorwort von Sybille Berg, Hatje Cantz 2014. Bis zum 29. Juni noch läuft im Haus der Photographie der Hamburger Deichtorhallen die Werkschau „Ute Mahler und Werner Mahler“