Erwin Wurm versus „Aspekte“

Bei schwerem Atem über Kunst nachdenken

Vor einem Jahr übernahm Wurms Künstlerkollege Christian Jankowski eine „Aspekte“-Sendung: Er ließ damals die Moderatorin Luzia Braun und „Aspekte“-Chef Wolfgang Herles kopfüber von der Studiodecke hängen. Dass auch Erwin Wurm etwas mit den Moderatoren anstellt, war zu vermuten. In den 90er-Jahren wurde er dafür bekannt, dass er das Publikum in seine Aktionen einbezog. Für seine „One Minute Sculptures“ ließ er Menschen den Kopf in Mülleimer stecken oder Stifte in Mund, Nase und Ohren. Wie sollte sie also aussehen, die „Aspekte“-Sendung als Wurm-Kunstwerk? 

„Frau Braun, ziehen Sie bitte Ihren Pulli über den Kopf, begrüßen Sie den Zuschauer und moderieren Sie Ihren ersten Beitrag an!“, lautete die erste Anweisung von Wurm an die Moderatorin, die am Freitagabend zusammen mit Wolfgang Herles zum Material für eine lebende Skulptur wurde. Von Kopf bis Fuß in bunte Pullover gesteckt und auf diese Weise seltsam überformt, rätselten die Moderatoren im Laufe der Sendung bei schwerem Atem über das Wesen dessen, was sie gerade repräsentierten: „Ist das Lichtenberg? Oder könnte das Woody Allen sein?“

In einem Beitrag erklärte Wurm, dass ihn das Peinliche und Unangenehme interessiere. Die Peinlichkeit habe mit der eigenen Schwäche zu tun und dem Gefühl, nicht zu genügen, deplatziert und falsch zu sein, am falschen Ort und zur falschen Zeit. Darin liege eine Qualität, auf der seine Kunst basiere.

Und weil wir alle in das paradoxe Verhältnis von Individuum und Gesellschaft eingebunden sind, durften auch die Zuschauer bei der „Aspekte“-Sendung mitwirken. Im Vorfeld animierte Erwin Wurm das Publikum dazu, die Videobeiträge zum Thema „Aspekte-Wurm-Skulptur“ einzusenden. Die Vorgabe lautete: Eine Minute lang Kniebeugenübung mit zwei beliebigen Gegenständen in den Händen vor der Kamera absolvieren. Während die Moderatoren, weiterhin auf dem Boden räkelnd, rätselten, ob das nun Gymnastik oder doch Philosophie ist, verkündete Wurm die Namen der drei Gewinner, deren Videos er per Zertifikat zum Kunstwerk – einem echten „Wurm“ – erklärte. Ob nun auch aus der „Aspekte“-Sendung ein Kunstwerk geworden ist, man wird es zumindest bezweifeln dürfen. Fest steht: Wurm blieb derselbe, wie man ihn kennt und schätzt – nicht mehr, nicht weniger. Eine seiner letzten großen Ausstellungen  hieß "The artist who swallowed the world". Am Freitag gelang es ihm, auch das Medium Fernsehen zu schlucken.

Mehr Videos: www.aspekte.de