Zerstörtes Fluxus-Werk

90-Jährige steht Museums-Eklat mit Kölscher Gelassenheit durch

Es waren nur wenige Buchstaben, die sie in ein Kreuzworträtsel eintrug - genug, um die 90-Jährige in die Schlagzeilen zu katapultieren. Denn es war nicht irgendein Kreuzworträtsel. Auch wenn ihr nun eine Strafanzeige anhängt, die Rentnerin bleibt gelassen

Moderne Kunst - das war schon immer ihr Ding, und nicht erst, seit ihr der Ruhestand genügend Zeit dafür lässt. Bis heute lautet Hannelore K.s Devise: "Man muss sich doch informieren, was die jungen Künstler so machen. Man kann nicht immer nur van Delft und Rembrandt anschauen." Ausgerechnet ihr ausgeprägtes Interesse für zeitgenössische Kunst hat nun vor genau einem Monat das Leben der 90-Jährigen Nürnbergerin mit Kölner Wurzeln ordentlich durcheinandergewirbelt.

Mit ein paar Kugelschreiber-Strichen hat sie am 13. Juli im Neuen Museum für Kunst und Design in Nürnberg für einen kleinen Eklat gesorgt. Der brachte ihr zu ihrer Überraschung nicht nur eine Strafanzeige wegen "gemeinschädlicher Sachbeschädigung" ein, sondern katapultierte sie auch weltweit in die Schlagzeilen. TV-Teams bitten sie seitdem reihenweise um Interviews, Talkmaster laden sie in ihre Talkshows ein - meist erfolglos. Schon aus Rücksicht auf ihre Angehörigen will sie nicht mehr als nötig in den Medien präsent sein.

Und außerdem versteht die gebürtige Kölnerin, die ihren vollen Namen auf keinen Fall in den Medien lesen will, die ganze Aufregung um den Vorfall nicht: Als sie bei einem Museumsrundgang plötzlich zum Kuli griff und in einer Collage des verstorbenen Fluxus-Künstlers Arthur Köpcke mehrere Kästchen eines Kreuzworträtsel ausfüllte - da habe sie doch nur im Sinne des Künstlers gehandelt.

"Neben dem Kreuzworträtsel steht doch klar: 'Insert words' ('Trage Wörter ein'). Das ist Fluxus-Kunst, sonst hätte ich das noch nicht gemacht", argumentiert sie. Fluxus sei eine offene Kunst und lade Betrachter dazu ein, die Werke der Künstler zu vervollständigen. Im Germanischen Nationalmuseum ein paar Steinwürfe weiter würde sie nie auf die Idee kommen, Kunstwerke alter Meister bekritzeln. "Aber im Neuen Museum ist das anders. Das sind doch moderne Künstler."

Im Schreibwerkstatt-Kreis der Evangelischen Stadtmission, in dem sie seit etlichen Jahren mitarbeitet, hat Hannelore K. jetzt jedenfalls genug Stoff für ihre nächste Kurzgeschichte. Hatte sie bisher ihre Jugenderinnerungen als Prosa aufgearbeitet und Gereimtes verfasst, kann sie nun berichten, wie man sich fühlt, wenn man als angebliche Kunstschänderin im Polizeipräsidium auf seine Vernehmung warten muss.

Das alles zu überstehen, dabei habe ihr ihre rheinische Gelassenheit geholfen, ist sie überzeugt - und legt eine Postkarte mit dem "Kölschen Grundgesetz" auf den Tisch: "Et es wie et es, et kütt wie et kütt. Et hätt noch immer jot jejange". Das sei ja vielleicht auch das Rezept ihres langen Lebens, ist die in legere Sommerhose und zartrosa T-Shirt gekleidete schlanke Rentnerin überzeugt. "Wenn man sich manchmal nicht so gut fühlt, muss man ja nicht immer gleich rumknatschen", sagt sie.

Körperlich hält sie sich mit regelmäßiger Gymnastik und Massage fit. Bis zum 80. Lebensjahr hatte sie in einer Nürnberger Tanzschule steppgetanzt. Einmal wöchentlich trifft sich die frühere Medizinerin mit Freundinnen beim Canasta und liest täglich die Tageszeitung. "Man muss positiv denken und sich überall informieren - das hält fit", ist sie überzeugt.

Beim Neuen Museum sieht man den Vorfall von Mitte Juli inzwischen gelassen - und würde sich wünschen, die Ermittlungen gegen die 90-Jährige würden eingestellt. Seit Ende Juli hängt das restaurierte Köpcke-Gemälde wieder in der Ausstellung. Die Restaurierungskosten bewegten sich in einem "niedrigen dreistelligen Bereich", heißt es auf der Internetseite des Museums. Inzwischen hat sich auch Museumschefin Eva Kraus bei einem Treffen mit Hannelore K. um eine Versöhnung bemüht.

Was die Argumentation von Hannelore K. angeht, Fluxus sei eine Art Mitmachkunst, beharrt die Museumsleitung allerdings weiterhin auf ihrem Standpunkt: "Bei Fluxus wird das Publikum tatsächlich dazu aufgefordert, bei der Schaffung des Kunstwerks mitzutun. Aber irgendwann endet die Aktion", betont Museumssprecherin Eva Martin. Sei die Performance abgeschlossen, dann dürfe auch bei Fluxus-Kunstwerken nichts mehr ergänzt werden - wie bei allen anderen Kunstwerken im Haus. "In unserer Hausordnung steht klar, dass Kunstwerke nicht beschädigt werden dürfen."