Tel Aviv Museum of Art eröffnet Erweiterungsbau

„Es gibt eine Gegenbewegung zur Globalisierung“

Shuli Kislev, Sie eröffnen den Erweiterungsbau Ihres Museums mit einer Anselm-Kiefer-Schau. Warum haben Sie sich für diesen Künstler entschieden?
Wir sind ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst mit israelischen Wurzeln, aber natürlich auch mit einer internationalen Perspektive. Kiefer ist ein Künstler von Weltrang, der sich seit vielen Jahren mit Themen der jüdischen Geschichte, Philosophie und Mythologie beschäftigt, und der auch in unserer Sammlung vertreten ist. Unser früherer Direktor, Mordechai Omer, schlug Kiefer die Eröffnungsausstellung vor. Kiefer antwortete, dass er sich nur eine eigens auf die Räume bezogene Ausstellung vorstellen könne, und dass er die Schau ko-kuratieren wolle. Wir waren begeistert.

Was steckt hinter dem Ausstellungstitel „Das Zerbrechen der Gefäße”?
Es gibt diese kabbalistische Idee, dass im Laufe der Schöpfung die einst einheitliche Welt auseinanderbricht – und zwar durch ein Ereignis mit dem Namen „Shevirat Ha-Kelim“ („Das Zerbrechen der Gefäße“). Kiefer zeigt eine gleichnamige Installation, fünf neue Skulpturen, Gemälde, seinen „Ost-Westlichen Diwan“; es geht um biblische Figuren wie Kain, Abel, Noah und Samson, um historische Figuren wie Isaac Abrabanel, einem Staatsmann des 15. Jahrhunderts, aber auch um den Dichter und Holocaust-Überlebenden Paul Celan.

Neben der Kiefer-Schau ermöglicht Ihr Museum einen Überblick israelischer Kunst. Wo setzen Sie historisch ein?
Mit der Gründung der Bezalel Kunstschule in Jerusalem 1906. Das ist natürlich eher eine nützliche Konvention als eine absolute Trennungslinie.

Liefen die Entwicklungen seither analog zu westlichen Bewegungen oder hat man sich eher am arabischen Raum orientiert?
Die Kunst in den jüdischen Siedlungen des frühen 20. Jahrhunderts ist zunächst bestimmt von der Suche nach einer kollektiven Identität. Man erkennt viele Doppelbewegungen: Die Bemühungen nach einer Erneuerung des biblischen Judaismus gehen einher mit einem Interesse an Orientalismus und Art Nouveau. Oder: Identifikation und die Sorge um die in Bedrängung geratenen europäischen Juden verbinden sich mit expressionistischem Formvokabular. Gleichzeitig sind aber auch die Vertreter der Ecole de Paris eine wichtige Inspirationsquelle für die hiesigen Künstler. Nach 1948 geht es weniger um kollektive Identität als um individuelle Fragen. Und um etwas, das man vielleicht Sparten-Identität nennen kann: Gender-Fragen, Konzepte von Familie, ethnische Identitäten und vieles mehr. Die zwei Jahrzehnte nach 1989 sind dann vom „Sieg des Kapitalismus“ und der Globalisierung bestimmt. Spektakuläre Installationen nehmen zu, die Klubkultur spielt herein, Kunst wird marktförmiger.

Sehen Sie aktuelle Tendenzen?
Es gibt eine Gegenbewegung zu Globalisierung und Kunstmarktkunst. Unsere Kuratorin Ellen Ginton sieht eine wachsende Zahl von Künstlern, die die Globalisierung insofern dämpfen wollen, als sie ihre Kräfte zwar anerkennen, aber darüber das Lokale nicht aus dem Blickwinkel verlieren.

Inwieweit beeinflusst der Konflikt mit den Palästinensern und den Nachbarländern die israelische Kunst?
Wie haben Jahrzehnte der Teilung in Ost und West die deutsche Kunst beeinflusst? In beiden Fällen sprechen wir von einem tiefgreifenden Faktum, das mehr als eine Generation Künstler erfahren haben und auf das es eine Vielzahl individueller Antworten gegeben hat. Als Museum müssen wir diese Bandbreite kennen, die stärksten und relevantesten präsentieren und kuratorisch Wege einschlagen, die Verständigung und Diskussion ermutigen.

Wäre es denn vorstellbar, dass an Ihrem Haus demnächst eine Gruppenausstellung „Tel Aviv and Beirut today”gezeigt wird?
Das würden wir uns wünschen! „Tel Aviv and Beirut today” oder auch “Tel Aviv and Cairo today". Aber leider sehen wir auf der anderen Seite nicht den geringsten Wunsch zur Kooperation. Wir verfolgen die Entwicklungen in beiden Städten mit großem Interesse, aber bislang vergeblich. Vielleicht ist es noch zu früh für sie – obgleich wir mit Ägypten bereits seit 30 Jahren ein Friedensabkommen haben. Es scheint, als müssten wir also warten, bis die Zeit endlich reif ist.

Tel Aviv Museum of Art